@Puistola:
Ich freue mich über jeden Richter, der unbestimmte Gesetzes-§§ oder -artikel als solche erkennt und dementsprechend mangels anwendbarer Gesetzesgrundlage zum Freispruch kommt, auch wenn es ihm gegen den persönlichen Gusto geht.
Immerhin haben sich in Petrullos Prozess in allen drei Instanzen Richter gefunden, die genau dieser Argumentation gefolgt sind: Die Einzelrichterin am Kantonsgericht, die meiner Argumentation 1:1 gefolgt ist, und jeweils leider nur eine Minderheit am Ober- und Bundesgericht, wo ich ja nicht mehr beteiligt war.
Soo falsch kann ich also nicht liegen. Seltsam, dass bei der Spaltung der Gerichte das Parteibuch eine Rolle spielte. Das tut weh und weist darauf hin, dass Weltanschauung statt Recht gesprochen wurde.
Hierzu zwei Anmerkungen:
Ist ein Gesetz vorhanden - hier etwa der § 118 OWiG - kann und muss der angerufene Richter dieses anwenden oder vorlegen. Er kann und darf nicht freisprechen, nur weil "das Gesetz aus seiner Sicht nichts taugt". Ein Freispruch kann nur aus tatsächlichen (z.B. nicht nachweisbar oder Unschuld - etwa Alibi - festgestellt) oder aus rechtlichen Gründen (Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt, z.B. beim Diebstahl keine Wegnahme oder Schuldunfähigkeit) erfolgen. Nicht jede Vorlage ist indes sinnvoll, nur in den seltensten Fällen, insbesondere etwa bei neuen Gesetzen, kommt sie wirklich in Betracht und hat zudem in den seltensten Fällen überhaupt Erfolg (wobei die Qualität "neuerer" Gesetze zunehmend erbärmlich ist, so dass sich die Quote wohl langfristig ändern wird). Für den § 118 OWiG ist der Zug, um bildlich zu sprechen, dabei längst abgefahren, die Norm ist ewig durchgepaukt und abgesegnet. Punkt. Aus. Fertig. Es mag Dir nicht gefallen. Es ist aber so. Hier wäre eine Vorlage nicht nur offenkundig unbegründet. Sie würde auch dem Steuerzahler unter Umständen noch hohe und unnötige Kosten einbringen und die Gerichte zusätzlich und überflüssig beschäftigen. Andere, wichtige Entscheidungen würden verzögert. Der gemeine Steuerzahler klagt jedoch über Geldverschwendung und die langsame Justiz. Hast Du das einmal so gesehen? Wobei die Vorlage hier mit einem Einzeiler abgetan würde. Der Richter, der § 118 OWiG vorlegt, wäre in etwa vergleichbar mit dem Priester, der heute noch auf die Kanzel steigen und die Erde für eine Scheibe erklären würde.
Das Parteibuch spielt an den Bundesgerichten eine Rolle. Das ist vom System auch so gewollt. Für die einfachen Gerichte - AG, LG, OLG - spielt Parteizugehörigkeit grds. keine Rolle, viel zu unbedeutend ist das Amt. Anders liegt es bei den Bundesrichtern, die gänzlich anders ausgewählt, ernannt und vergütet werden. Hier setzen sich die Parteien grundsätzlich nach Mehrheitsverhältnissen durch, wobei durchaus um Posten geschachert wird, etwa so: Erhält Partei A den Vorsitzenden Richter am Bundesgericht, bekommt Partei B dafür zwei nachgeordnete Bundesrichter. Hier wirkt sich nämlich aus, dass in der letzten Instanz über Grundsätzliches entschieden wird (Sterbehilfe? Auslandseinsätze? Wiederbewaffnung? Abtreibung? etc.). Da möchte die Politik sich fortsetzen, was sie in gewisser Weise auch kann und darf. Damit muss eine Demokratie (ein besseres System gibt es leider noch nicht) auch leben. Kurzum: Bei Dir/ Petrullo wurde offenbar mit 3:2 abgestimmt. Pech. Vielleicht hätte ich mir auch ein anderes Ergebnis gewünscht, ich kenne den konkreten Fall nicht gut genug. Aber mal gehört man halt zur "2", mal zur "3". Das ist systemimmanent. Niemand hat einen Anspruch darauf, mit allen Interessen auf Kosten anderer zu obsiegen. Das habe ich Dir schon einmal mit anderen Worten vorgehalten. Nimmst Du für Dich vielleicht in Anspruch über den Dingen zu stehen? Das wäre, mit Verlaub, recht totalitär und egozentrisch.
@Klaus_59:
Indes habe ich nicht von "den Richtern" geschrieben, sondern von "Richtern." Erkennst du den Unterschied?
Nein, jedenfalls keinen erheblichen. So, wie Du "Richter" hier nämlich verwendest, sprichst Du jedenfalls die deutliche Mehrheit der Richterschaft an, keineswegs also nur wenige Ausnahmen oder auch nur die Hälfte. Damit erklärst Du die diskutierte Selbstherrlichkeit etwa zum grundsätzlichen Merkmal, die Ausnahme wird dadurch zur Regel.
Ein Beispiel - auch für Puistola von Interesse - zur Erläuterung: Im letzten Sommer habe ich fünf Schweizer kennengelernt, die das Nachbarhaus gemietet hatten. Diese Schweizer haben sich unmöglich aufgeführt. Unter anderem waren sie rücksichtslos, aufdringlich und arrogant. Kann ich deshalb jetzt sagen: "Schweizer sind rücksichtslos, aufdringlich und arrogant."? Nein, ich kann es nicht. Nicht so.
@Klaus_59 und Puistola:
Noch eines zur Richterschelte. Die Anzahl verurteilter Richter und Staatsanwälte als Rechtsbeuger ist absolut gering. Auch sonst gibt es wenige Fälle von Verurteilungen. Dabei kommen solche Angelegenheit stets in die überregionale Presse (z.B. aktuell: verkaufte Referendarklausuren), ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Relativ häufig, dafür aber regional, still und leise hingegen erfolgt die Verurteilung von Rechtsanwälten und Notaren, namentlich wegen Untreue. Auch finden sich in der Rechtsprechung weit mehr Entscheidungen zum Schadenersatz wegen anwaltlicher Falschberatung (dann greift eine Haftpflichtversicherung) als zur Amtshaftung wegen willkürlich falschen Richterspruches (hier greift grds. das Spruchrichterprivileg, so dass der Staat haftet). Und wir verschweigen mal die zahlreichen Fälle, in denen Strafverteidiger sich wegen Geldwäsche (irgendwo muss das Honorar ja herkommen...) oder etwa wegen Strafvereitelung (durch nicht ganz legale Tipps zur Verteidigung) strafbar machen; hier dürfte die Dunkelziffer sehr hoch sein. Mit Eurer Pauschalkritik setzt ihr auch vor diesem Hintergrund an der falschen Stelle an. Nicht selten versprechen übrigens unfähige Rechtsanwälte (hier gibt es keine Qualitätskontrolle oder gar Zulassungsbeschränkung nach Examensnoten, anders als im Staatsdienst) einen Prozessausgang, der schlichtweg nicht zu erreichen ist. Geht das Verfahren dann erwartungsgemäß mit hohen Kosten und Gesichtsverlust und und und in die Hose, ist für den Rechtsanwalt nichts leichter, als dem Gericht den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Und der Mandant als Laie fällt darauf herein... Kleiner Exkurs: In meinem Bereich kenne ich mich aus und weiß ich in der Regel, mit wem ich es zu tun habe. Erschütternd für mich ist, dass die Leistungsunterschiede bei Ärzten auch nicht anders sind. Dort bin ich es aber, der dies als Laie nicht erkennt. So hat halt jeder seins.