@Mark11
Grundsätzlich finde ich es richtig gut, dass dir dies auffällt - deine eigenes Bedürfnis und Wohlsein beim Nacktsein und andererseits bei manchen Menschen der Wunsch sie nicht nackt sehen zu wollen (bzw. auch das Gefühl unter Fremden, d.h. anonym, und nicht mit Bekannten nackt sein zu wollen/können). Das zeugt von einer gewissen Reflektiertheit.
Mein Gedankenansatz zu dem Thema ist:
"Kleider machen Leute - ich möchte Mensch sein." Kleidung verändert mich (was macht eine Uniform aus manchen Menschen?!). Sie verhüllt mich. Ich vermittle einen anderen Eindruck nach außen. Dazu kommt, dass unsere Gesellschaft extrem auf äußerliches ausgerichtet ist (Statussymbole, Wunsch auf dauerndes Wirtschaftswachstum-außer beim Virus) und innere Werte erst langsam wieder mehr in den Vordergrund rücken. D.h. mit und unter Kleidung/Schminke kann ich mich sehr gut tarnen/verstecken - Ja es ist auch ein emotionaler Schutzwall.
Andererseits sind wir gewöhnt andere auf Grund dieses äußeren Scheins zu beurteilen. Fällt dieser Schein weg, wird es schwierig. Neues und Unbekanntes löst bei vielen Angst aus. Und aus Angst heraus agieren ist selten vorteilhaft. Immerhin sind wir zu 92% vom Unbewussten gesteuert (Gedanken, Worte, Taten). Deshalb ist es das Ziel in der buddhistischen Meditation zuerst überhaupt mitzubekommen, welche Gedankenkaruselle da immer laufen.
Für mich (und das ist auch meine Erfahrung bei mir selbst) bedeutet es, wenn ich gut in mir ruhe (mit mir im Reinen bin, gedanklich ziemlich im Hier und Jetzt bin) kann ich meine Nacktwanderungen sehr genießen. Ich zweifle nicht und meist sind die Begegnungen auch positiv (sonst sind sie oft verwundert oder gar nicht).
Frage: Warum bin ich von der Gesellschaft akzeptiert wenn ich eine Badehose an habe? Und warum bin ich nicht akzeptiert wenn diese paar cm² Stoff fehlen?
Dazu kommt unsere jahrhundertelange Gehirnwäsche der katholischen Kirche (nicht des grundsätzlichen christlichen Gedankengutes), dass Nacktheit schmutzig ist, dass Sexualität in unnötiges Übel ist um Kinder bekommen zu können (es lebe die künstliche Befruchtung, dann kann das gleich ganz ver-Teufel-t werden). Wie weit konnte ich mich davon lösen bzw. ist es mir bewusst? Will ich beim Nacktsein nicht erkannt werden, schwingt gleich mit, dass ich etwas unerlaubtes tue.
Kann ich das Nacktsein jedoch genießen, mich wohlfühlen dabei, möchte es jedoch nicht das andere so sind, stellt sich die Frage wieso ich dieses Wohlgefühl anderen nicht gönne (oder sie lieber in ihrer (Ver-) Kleidung sehe möchte)? Aus buddhistischer Sicht wäre das eine gute Gelegenheit um mudita (Mitfreude) zu üben. Ich stelle mir diesen Menschen nackt vor und lasse mein Wohlgefühl meines Nacktseins aufkommen. Und freue mich, dass dieser Mensch nun ebenso dieses Wohlgefühl erleben kann (ob er/sie sich wohlfühlen würde dabei oder nicht ist ein anderes Thema) und freue mich einfach mit diesem Menschen. Dies erzeugt ein Feld von Freude, Frieden, Güte.
und insgeheim sehnen/wünschen wir alle glücklich zu sein.
kurz meine Sicht zum "Scham"-Gefühl: ich sehe es überwiegend als etwas künstlich erzeugtes. Eine Konditionierung, die hilft mich in der gesellschaftlichen Ordnung zu halten. Da gesellschaftliche Ordnung jedoch nichts absolutes ist und dauernd Veränderung unterworfen ist (wie alles auf dieser physischen Ebene), ändern sich auch "ständig" die Regeln nach denen ich mich schämen soll. Wie war die verpflichtende Bademode vor 100 Jahren oder jetzt im indischen/islamischen Raum? Wann haben sich Menschen damals/dort geschämt? Wie üblich war/ist Gewalt an Kindern, Frauen und Schwächeren und Mann musste sich schämen, wenn die Ehre nicht mit der Waffe (und damit viel Schmerz und Leid) verteidigt wurde?
D.h. für mich ist Scham etwas was mir (in den allermeisten Fällen) von außen antrainiert wurde/wird und damit nicht meines ist (weil ich willkürlich festgelegt Gesellschaftsregeln nicht eingehalten habe = Nacktsein, oder Erwartungen nicht erfüllt habe (z.B. Prüfungen, etc.). Als Herdentier ist es natürlich überlebenswichtig in einem Mindestmaß an der Herde (Gesellschaft) teilzuhaben, da ich sonst wesentlich schlechtere Überlebenschancen habe (als Urmensch vor zigtausenden Jahren). Aus dieser Urangst heraus erklärt sich für mich auch diese enorme Wirksamkeit des Scham-Konstrukts.