Eule hat geschrieben:Aria hat geschrieben:Angesichts der 170-jährigen Sprachlosigkeit in Sachen Sex, die vor 68 beinahe auf der ganzen (christlichen) Welt herrschte, war das schon eine Revolution. Man darf nicht vergessen, dass diese nicht auf Deutschland beschränkt war und zudem weiter gehende Freiheiten auf dem sexuellen Gebiet brachte, die zuvor Jahrhunderte lang undenkbar und zum Teil sogar mit Todesstrafe bedroht waren.
Mir ist es durchaus bekannt, dass du in Fragen der kirchlichen Morallehre aus der Spur fällst und nicht dabei bleibst, was in dem direkten zeitlichen Zusammenhang gehört.
Was ich oben geschrieben habe, ist wahr und keinesweg aus der Spur fallend.
Eule hat geschrieben:Und jetzt zeige mir mal, was sich im realen Verhalten der Bevölkerung vor und nach den 68-ger Jahren tatsächlich verändert hat und dieses das Prädikat "Revolution" verdient?
Es hat eine sexuelle Revolution gegeben, nur hat die Reaktion der konservativen Kreise (CDU/CSU mit Unterstützung der Kirchen), einige ihrer Erungenschaften wieder zurückgedrängt und andere so verlangsamt, dass wir immer noch keine Gleichberechtigung haben, um von der Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität gar nicht zu reden. Das war zu erwarten, denn die Jahrhunderte dauernde Gehirnwäsche der christlichen Kirchen beseitigt man nicht in einem oder zwei Jahrzehnten relativer Freiheit.
Auch nach der französischen Revolution siegte danach wieder die Reaktion und annulierte viele der Errungeschaften, so dass noch heute einige der damaligen Forderungen auf ihre Realisierung warten. Das geschah auch nach allen anderen Revolutionen (z.B. 1848, 1871, 1917, 1918/19 und 1989/90), egal ob sie kurz oder lange dauerten oder friedlich oder gewaltsam begannen oder endeten - trotzdem würde niemand bezweifeln, dass es sich bei den genannten Daten um Revolutionen handelte.
Um es anders auszudrücken: Die sexuelle Revolution in den 1960-70er Jahren hat 2 Schritte vorwärts gemacht, danach ging und geht es wieder rückwärts - wie weit, wird sich noch zeigen.
Campingliesel hat geschrieben:Aria hat geschrieben:Und warum wusste plötzlich jeder, dass bei der FKK "eben KEINE Sexualität oder sexuelle Dinge dabei eine Rolle spielten"?
Ich sage: Weil die sexuelle Revolution die Nacktheit enttabuisierte, sie von der Sexualität entkoppelte. Jetzt, nach dem Widererstärken des Konservatismus, wird die Nacktheit wieder, wie in den 1950er Jahren und zuvor schon im ganzen 19. Jahrhundert, wieder mit der Sexualität verbunden.
Bedenke: Von nichts kommt nichts.
Nein, weil schon in den Anfängen der FKK das Ziel darin bestand, daß man die Nacktheit aus dem Fokus der Sexualität herausnehmen wollte und zeigen wollte, daß man auch nackt zusammen sein kann, ohne sexuelle Absichten zu haben. Und das war schon lange vor einer sexuellen Revolution.
Klar, dieses Ziel musste man verkünden, sonst wäre die FKK-Bewegung noch weniger akzeptiert worden.
Und: Ziel ist das eine, Realität eine andere. Sprich: Unterschwellig hat die Mehrheitsgesellschaft die FKK-Bewegung immer verdächtigt, dahinter stünde Sexuelles - bis eben die 68er kamen und sich einfach nicht darum kümmerten, was die Gesellschaft von ihrer Nacktheit an Seen und Flüssen hielt. Sie taten es nicht mehr heimlich und redeten auch offen darüber - und siehe da, große Teile der Gesellschaft akzeptierten das, natürlich mit Ausnahme der konservativen Kreise.
Der Vorteil der neuen Offenheit: Während man früher hinter der Thujahecken der FKK-Vereinen alles Mögliche vermutete, konnte nun jeder sehen, dass mit der Nacktheit keine sexuelle Ausschweifungen verbunden waren. Diese offensive Offenheit hatte etwas entwaffnendes an sich, was sich z.B. in neuerer Zeit die Nacktwanderer zunutze machen. Sie wurden anfangs von FKK-Vereinen bekämpft, weil diese der Meinung waren, man müsse sich und seine Nacktheit verstecken bzw. die Mehrheitsgesellschaft nicht provozieren.
Die alten FKK-ler dachten oder denken immer noch, ihre Nacktheit wäre etwas Privates und gehöre nicht in die Öffentlichkeit - weil sie, genauso wie die Mehrheitsgesellschaft, Nacktheit mit Sexualität verbinden, natürlich nur insgeheim, denn laut reden sie anders. Das merkt die Mehrheitsgesellschaft und bezeichnet die FKK-ler als im Grunde prüde. Prüder jedenfalls als die Mehrheitsgesellschaft selbst es ist.