Historisches Zur Freikörperkultur
Verfasst: Fr 22. Mai 2020, 21:34
Hab zufällig einen schönen alten Artikel gefunden:
(https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28957366.html)
"FREIKÖRPER-KULTUR Kamerun an der Ostsee
08.09.1954
Die gesamtdeutsche Öffentlichkeit hat bisher kaum gewußt, daß es kein westliches Nordsee-Monopol auf einen Badebrauch gibt, der weltanschaulich gefestigt "Freikörperkultur", im Strandjargon dagegen "Abessinien" heißt. Die strenge Zucht der "Arbeiter- und Bauernmacht" der Deutschen Demokratischen Republik hat die kurzfristigen Versuche einer östlichen Abessinien-Konkurrenz nun allerdings mit einem Federstrich hinweggewischt.
In einer Verfügung der Ostberliner Justiz- und Innenministerien an die Räte der Kreise Rostock und Neubrandenburg vom 14. August heißt es nämlich, das Nacktbaden sei an der Küste der Ostsee und des Stettiner Haffs fürderhin zu unterbinden. Bei Durchführung dieses Nacktbade-Verbots sollten sich die Kreisräte der Polizeiverordnung Nummer 3 bedienen.
Mit dieser Verfügung setzte Pankow den Schlußpunkt unter einen ansehnlich angewachsenen Aktenvorgang, der mit Hilferufen von der Ostseeküste begonnen hatte. Dort nämlich hatten die Nacktbader - hauptsächlich bei Bansin in der Strandexklave "Kamerun" konzentriert - ein strenges Regiment rund um die Grenzen ihres freikörperkulturellen Reservats geführt.
In manchen Berichten war sogar vom Terror der Nackten gegen die Badehosen- und Bikini-Träger, in anderen von ausgesprochenen Exzessen die Rede gewesen. Und wie von ungefähr tauchten gleichzeitig in den züchtigen Spalten der Zonenpresse Berichte darüber auf, daß Insassen der Nacktbade-Reservate in den "Bädern der Werktätigen" Heringsdorf, Ahlbeck, Bansin und Hiddensee sich zu viel gegenüber normal bekleideten Strandgenossen herausnähmen.
Unter derlei Nachstellungen hatte besonders ein geschäftstüchtiger Bootsbesitzer in Bansin zu leiden. Er pflegte mit seiner "Möve" kleine Küstenfahrten zu unternehmen, die auch am Strand des Nackedei-Paradieses "Kamerun" entlang führten. Die "Möve"-Passagiere zielten dabei oft ohne Scham mit Ferngläsern und Kameras auf das Treiben am Strand.
Doch die in demokratischer Wachsamkeit geschulten "Kameruner" schritten bald zu aktiver Abwehr. Erst bewarfen sie die "Möve" noch mit Sand, Steinen und Quallen. Als das nach ihrer Meinung nicht half, wurde das Boot geentert und umgekippt. Diese radikale Methode machte Schule längs der ganzen Küste. Und bald hatte der Seenotdienst an schönen Tagen fast nichts anderes zu tun, als die Insassen geenterter Boote aus dem Wasser zu fischen und die gekenterten Kähne sicherzustellen.
Daneben wurden Spaziergänger an den Grenzen der Nudisten-Bezirke als neugierige Spione entlarvt und zwangsweise entkleidet, oder aber es wurde Jagd auf ihre Photoapparate gemacht.
Alle fortschrittliche Langmut fand schließlich ihre Grenze, als am ersten Augustsonntag über den Strandfunk von Bansin bekanntgegeben wurde, daß zwei Mädchen von 16 und 17 Jahren von Nudisten entkleidet, an Bäume gebunden und beleidigt worden seien.
Mit dem Verbot von "Kameruns" am Ostseestrand ist es jedoch allein nicht getan. Die Volkspolizei hat vielmehr Weisung erhalten, gewissen Anzeigen nachzugehen, denen zufolge an ausschweifenden "Sittenfesten" der Nackedeis nicht nur etliche aktive SED-Genossen, sondern auch Mitglieder der "schaffenden Intelligenz" teilgenommen haben.
DER SPIEGEL 37/1954
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung"
(https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28957366.html)
"FREIKÖRPER-KULTUR Kamerun an der Ostsee
08.09.1954
Die gesamtdeutsche Öffentlichkeit hat bisher kaum gewußt, daß es kein westliches Nordsee-Monopol auf einen Badebrauch gibt, der weltanschaulich gefestigt "Freikörperkultur", im Strandjargon dagegen "Abessinien" heißt. Die strenge Zucht der "Arbeiter- und Bauernmacht" der Deutschen Demokratischen Republik hat die kurzfristigen Versuche einer östlichen Abessinien-Konkurrenz nun allerdings mit einem Federstrich hinweggewischt.
In einer Verfügung der Ostberliner Justiz- und Innenministerien an die Räte der Kreise Rostock und Neubrandenburg vom 14. August heißt es nämlich, das Nacktbaden sei an der Küste der Ostsee und des Stettiner Haffs fürderhin zu unterbinden. Bei Durchführung dieses Nacktbade-Verbots sollten sich die Kreisräte der Polizeiverordnung Nummer 3 bedienen.
Mit dieser Verfügung setzte Pankow den Schlußpunkt unter einen ansehnlich angewachsenen Aktenvorgang, der mit Hilferufen von der Ostseeküste begonnen hatte. Dort nämlich hatten die Nacktbader - hauptsächlich bei Bansin in der Strandexklave "Kamerun" konzentriert - ein strenges Regiment rund um die Grenzen ihres freikörperkulturellen Reservats geführt.
In manchen Berichten war sogar vom Terror der Nackten gegen die Badehosen- und Bikini-Träger, in anderen von ausgesprochenen Exzessen die Rede gewesen. Und wie von ungefähr tauchten gleichzeitig in den züchtigen Spalten der Zonenpresse Berichte darüber auf, daß Insassen der Nacktbade-Reservate in den "Bädern der Werktätigen" Heringsdorf, Ahlbeck, Bansin und Hiddensee sich zu viel gegenüber normal bekleideten Strandgenossen herausnähmen.
Unter derlei Nachstellungen hatte besonders ein geschäftstüchtiger Bootsbesitzer in Bansin zu leiden. Er pflegte mit seiner "Möve" kleine Küstenfahrten zu unternehmen, die auch am Strand des Nackedei-Paradieses "Kamerun" entlang führten. Die "Möve"-Passagiere zielten dabei oft ohne Scham mit Ferngläsern und Kameras auf das Treiben am Strand.
Doch die in demokratischer Wachsamkeit geschulten "Kameruner" schritten bald zu aktiver Abwehr. Erst bewarfen sie die "Möve" noch mit Sand, Steinen und Quallen. Als das nach ihrer Meinung nicht half, wurde das Boot geentert und umgekippt. Diese radikale Methode machte Schule längs der ganzen Küste. Und bald hatte der Seenotdienst an schönen Tagen fast nichts anderes zu tun, als die Insassen geenterter Boote aus dem Wasser zu fischen und die gekenterten Kähne sicherzustellen.
Daneben wurden Spaziergänger an den Grenzen der Nudisten-Bezirke als neugierige Spione entlarvt und zwangsweise entkleidet, oder aber es wurde Jagd auf ihre Photoapparate gemacht.
Alle fortschrittliche Langmut fand schließlich ihre Grenze, als am ersten Augustsonntag über den Strandfunk von Bansin bekanntgegeben wurde, daß zwei Mädchen von 16 und 17 Jahren von Nudisten entkleidet, an Bäume gebunden und beleidigt worden seien.
Mit dem Verbot von "Kameruns" am Ostseestrand ist es jedoch allein nicht getan. Die Volkspolizei hat vielmehr Weisung erhalten, gewissen Anzeigen nachzugehen, denen zufolge an ausschweifenden "Sittenfesten" der Nackedeis nicht nur etliche aktive SED-Genossen, sondern auch Mitglieder der "schaffenden Intelligenz" teilgenommen haben.
DER SPIEGEL 37/1954
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung"