Ich fange mal mit der zweiten Bemerkung an.
Die Worte, mit denen Tabus begründet werden, haben in der Regel nicht viel mit den wahren Gründen der Tabuisierung zu tun. Tabus sind in erster Linie historischer Ballast, dessen Wurzeln aus grauer Vorzeit stammen.
Hier stimme ich dir voll und ganz zu. Das ist eben die Schwierigkeit, dass neuere Botschaften und Begründung oftmals ältere überlagern oder sogar verdrängen. Hier versuche ich dann, über das Lernen der Tabubegründungen in anderen und/oder älteren Kulturen heraus zu finden, wo die Wurzel dieser Tabubegründung zu suchen und zu finden sein könnte.
Vermutlich ist sexuelle Erregung "ansteckend", ähnlich wie sich auch Emotionen übertragen oder sogar das Gähnen ansteckt - über interne Spiegel-Mechanismen, ähnlich den Spiegel-Neuronen, die bei Affen nachwiesen wurden.
Diesen Denkansatz halte ich für nicht zutreffend. Er hat zwar etwas verführerisches. Ich kann mir hier nicht vorstellen, dass die Spiegelneuronen hier eine Rolle spielen, da ja kein Verlust oder Defekt ersetzt werden muss oder soll.
Das Beobachten von sexuellen Handlungen könnte Eifersucht, Neid und Gier auslösen, wenn jemand nicht gelernt hat damit umzugehen.
Ja, mit diesem deinem Gedankengang kann ich mich anfreunden und mittragen. Hier würden wir eine - die Gruppe erhaltenden - Funktion, also eine soziale Dimension, beschreiben.
@ Bummler
Tabus werden nicht begründet.
Die Erklärung eines Tabus ist seine Begründung. Das beste Beispiel hierfür ist das Tabu der australischen Ureinwohner, ein bestimmtes Gebiet nicht betreten zu dürfen, weil der Tod dort lauert. Heute wissen wir, dass dort Uranerze bis an die Erdoberfläche lagen und die Menschen also verstrahlt wurden. Eine rationale Begründung hatten die Ureinwohner nicht.
Tabuisiert werden Vorgänge für die man sich schämt oder die nicht in das Weltbild passen.
Nein, das würde ich so nicht sehen. Um zu einem Tabu zu werden, braucht es meiner Meinung nach schon erheblich mehr.
Jegliche "Begründungen" sind also von vornherein emotionaler und nicht rationaler Natur.
Da gehe ich mit dir völlig einig.
Was aber nicht heißen muss, das Tabus deswegen etwas Schlechtes sind.
Ja, Tabus sind völlig wertfrei im moralischen Sinne. Tabus sind Aussagen, die einen schützen sollen.
Was aber nicht heißen muss, das Tabus deswegen etwas Schlechtes sind.
Stimmt.
Der Satz
Tabuisiert man etwas, dann gibt man zu, dass man mit diesem etwas ein Problem hat.
unterstellt das man zu einem Tabu grundsätzlich nicht greifen sollte.
Hier hast du, so denke ich, Aria nichtrichtig verstanden. Ich halte diesen Satz von Aria nicht für glücklich gewählt, weil er zu stark verkürzt und vereinfacht, daher leicht missverstanden werden kann. Aber auf das, worauf sie hinweisen will, ist schon richtig, dem Grunde nach.
Hat das Tabu nicht auch manchmal einen positiven Zweck?
So wie ich den Tabu-Begriff kennen gelernt habe, nur. Aber dieses wird nicht immer so eingesehen und begriffen.
Und heiligt der Zweck dann nicht die Mittel?
Nein, so würde ich es nicht sehen. Tabus wurden nur dort eingesetzt, wo man sich das gefährdende Potential rational nicht erklären konnte, aber die Folgen dieses gefährdenden Potentials erleben konnte. Siehe die Gefahr der Verstrahlung in Australien.
@ Shiva205
Auch das Strafrecht unterliegt einem Zeitenwandel. Ich sehe kein Problem darin, wenn man z.B. in Diskussionen oder durch leichte Grenzüberschreitungen auf die Auflösung solcher Tabus hinsteuert, weil dadurch Impulse gesetzt werden, die dann auch das Strafrecht zu verändern können. In unserer Gesellschaft sind heute viele Dinge erlaubt, die früher verboten waren. Ich halte es für eine Bürgerpflicht, nicht nur immer wieder neue Gesetze zum Schutz der Bürger zu fordern, sondern auch daran zu arbeiten, dass Gesetze abgeschafft werden, die man für unnötig erachtet.
Normen, seien dieses niedergeschriebene Gesetze, wie das StGB, oder ungeschriebene, wie moralische oder gesellschaftliche, unterliegen in der Tat einem ständigen Wandel. Im Rahmen der sexuellen Normen erleben wir jetzt einen großen Wandel, weil wir gelernt haben, dass wir gewisse Sachverhalte, wie die Homosexualität, aus Unwissen falsch beurteilt haben. Neben dieses grundsätzlichen Veränderungen gibt es die Frage der mehr oder weniger großen Freizügigkeit. Vieles, was hier unter einer Normveränderung verstanden und vorgetragen wird, ist eine Frage der Freizügigkeit. Natürlich hat die Freizügigkeit auch eine Wirkung auf die Normen, aber mit einem wesentlich verzögertem und verlangsamten Ablauf.
Wir leben jetzt in einer Zeit, wo viele Menschen ihre Wertorientierung verloren haben und deswegen alles starr gesetzlich geregelt haben wollen. Diese Intoleranz ist für mich ein Zeichen großer innerer Verunsicherung verursacht durch den Verlust ein es Wertekanons. Wir stellen heute gerne alles infrage, bieten aber keine alternative an. Die Menschen finden keine Sicherheit mehr, keine Zone, wo sie sich sicher und geborgen fühlen können.
@ Zett
Bummler hat geschrieben:weil öffentlich gelebte Sexualität immer noch ein Straftatsbestand ist.
Stimmt nur mit Einschränkung: §183a hat einen Nebensatz: ", und dadurch ein Ärgernis erregt" Ohne Ärgernis ist öffentlich gelebte Sexualität keine Straftat!
Diese deine Grundannahme ist nicht zutreffend. Für eine Straftat ist es nicht wichtig, damit ein öffentliches Ärgernis hervorgerufen zu haben. Der Straftatbestandteil als solcher muss erfüllt sein, mehr nicht. Bei einer Ordnungswidrigkeit kann dieses anders sein.
Es ist also nicht so, dass Sex in der Öffentlichkeit heutzutage automatisch vor dem Richter landen muss.
Stimmt. Dieses bedeutet aber nicht, dass dieser Sex in der Öffentlichkeit erlaubt ist.