Campingliesel hat geschrieben:Kennst du den Unterschied zwischen Theorie und Praxis?
Theorie ist, wenn man alles weiß, aber nichts funktioniert.
Praxis ist, wenn alles funktioniert, aber niemand weiß warum.
Und kennst Du den Unterschied zwischen einem Witz und der Realität? Hast Du überhaupt schon mal bemerkt, dass es sich bei dieser Aussage um einen gern ausgesprochenen Witz in technischen Bereichen handelt (nicht in der Wissenschaft, denn da passt er nicht)?
Es geht doch darum, dass ein Anfänger in der Werkstatt etwas genau nach theoretisch gelerntem Wissen montiert und am Ende funktioniert es nicht, weil im auswendig gelernten theoretischen Wissen immer Lücken sind. Dann kommt der Praktiker, untersucht das Teil und findet aufgrund seiner Erfahrung aus der Praxis gleich den Fehler - ganz ohne irgendwie das mal gelernte theoretische Wissen dazu noch reflektieren zu müssen.
Nur, der Fehler bei dieser Sache ist: in der Technik wird "Theorie" in diesem Sinne für theoretisch gelerntes Wissen angewendet. Allerdings ist das keine Theorie, sondern basiert vollständig auf Fakten, die richtig angewendet auch zum korrekten Ergebnis führen. Daher kommt ja auch der Spruch nach einer Montage "theoretisch müsste das jetzt funktionieren". Aber auch das hat nichts mit Theorie zu tun. Das ist lediglich der Sprachgebrauch in der Technik, weil man das Wort da auch so wie in der Wissenschaft gar nicht benötigt. Und nur in diesem Kontext des ungenauen, aber gebräuchlichen Gebrauchs des Wortes in der technischen Praxis (Werkstätten, Montagehallen etc.) funktioniert dieser Witz auch.
In der Wissenschaft ist eine Theorie eine Gedankenkonstruktion zu einem noch nicht erforschten Zusammenhang, womit man die Richtung der weiteren Forschung in eine bestimmte Richtung lenkt. Hat man überhaupt keine Theorie, die man mit einigen bekannten Fakten als möglich begründen kann, dann geht die Forschung möglicherweise in sehr viele blind endende Richtungen und ist nicht effektiv. Also ist die Theorie eine ganz wichtige Grundlage für die Richtungsweisung der weiteren Arbeit.
Ein großer Fehler der Presse ist aber, viel zu oft eine neue Theorie so darzustellen, dass die Menschen glauben, da hätte man bereits etwas Neues gefunden. Daraus resultieren dann schließlich diese Wissenschafts-ungläubigen Meinungen wie von Dir, Campingliesel, hier geäußert.
Oft gibt es mehrere Theorien zu einer Sache und dann muss man genau analysieren, wie viele Indizien (bereits bekannte Tatsachen) für die eine und wie viele für die andere sprechen. Nehmen wir die Botanik: da hat man früher nur nach dem Aussehen und der Morphologie der Blüten, Blätter, Stängel und Wurzeln differenziert und die Pflanzen den Gattungen und Familien zugeordnet. Die Botanik spielt uns aber einen Streich dabei: manchmal haben sich nur weit entfernt verwandte Arten morphologisch sehr ähnlich entwickelt. Mit neuen genetischen Untersuchungen wurde deshalb der Stammbaum der Pflanzen in den letzten 15 Jahren ganz erheblich umgeschrieben. Bei den Flechten ist die Neuordnung recht drastisch und erst seit sehr kurzer Zeit bekannt.
Was ist da Theorie und was eine gesicherte Erkenntnis? Die genetische Verwandtschaft ist das heute sicherste Merkmal, das wir haben. Niemand zweifelt daran, dass die jetzt festgelegten Verwandtschaften der Arten eine gesicherte Erkenntnis sind, die nicht mehr umgeworfen wird, weil die jetzt auf der molekularen Basis definiert sind.
Was war früher im Vergleich anhand der Morphologie? Ja, viele haben geglaubt, das seien ziemlich sichere Fakten, aber wer ehrlich war, hat schon lange gesagt, das ist noch in vielen Punkten eine Theorie, da nicht ausreichend als richtig bewiesen. Also: eine aufgestellte Theorie wird mit immer mehr Fakten bestätigt und gilt dann als immer sicherer. Wenn aber plötzlich, selbst bei einer als ziemlich sicher geltenden Theorie, neue ganz sichere Fakten hinzukommen, die mit der Theorie gar nicht zusammenpassen, dann muss die verworfen werden. Dann waren die zutreffenden (also die Theorie belegenden Fakten) nur Zufall. Auch die bisherigen, über 50 Jahre lang als richtig geltenden Theorien der Abstammungslinien der Menschen (auch in Bezug auf frühere Verbreitung der div. Hautfarben) hat man teilweise umwerfen müssen, weil harte Fakten aus der Genetik nicht alles bestätigt haben.
Was ich damit zeigen will: die Theorie ist ein sehr wichtiges Arbeitsinstrument in der Wissenschaft und man arbeitet ständig daran, die Theorien zu erhärten oder zu widerlegen. Eine Theorie wird zur wissenschaftlichen Erkenntnis, wenn so viele Fakten dafür sprechen, dass man nach menschlichem Ermessen des aktuellen Standes der Wissenschaft keinen Zweifel mehr an der Richtigkeit hat.
Campingliesel hat geschrieben:In der Wissenschaft gibt es viele Theorien und Erkenntnisse, aber die Praxis widerlegt das sehr häufig.
Diese Aussage belegt zunächst mal, dass Du nicht zwischen Theorien und Erkenntnissen unterscheidest und dann bringst Du eine Behauptung, für die Du mit Sicherheit keinen einzigen Beleg bringen kannst.
Eine Theorie ist nie durch die Praxis widerlegt worden, sondern durch aufwändige Forschungsarbeiten mit neuen Ergebnissen, wie ich oben versucht habe zu verdeutlichen. Die Häufigkeit der Fälle, dass Theorien widerlegt werden hängt natürlich von ihrem Status ab. Zu einer neuen Fragestellung kann es drei Theorien geben, von denen mit den nächsten Ergebnissen schnell zwei widerlegt werden müssen. Das ist der normale Weg der Wissenschaft. Wenn die aber bereits als tolle Neuigkeit in der Presse standen, ist das nicht der Fehler der Wissenschaft, sondern der Schlagzeilen-süchtigen Redakteure.
Theorien, die es wert sind, in die Öffentlichkeit zu kommen, sind oft schon Grundlage für neue med. Behandlungsmethoden. "Sehr häufig" ist es dann wirklich nicht mehr, dass diese wiederlegt werden, und wenn, dann von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht von der Praxis.
Erkenntnisse werden eher selten widerlegt, so wie in meinem Beispiel aus der Botanik, in dem zumindest ein Teil der Wissenschaftler die alte Systematik bereits als gesicherte Erkenntnis betrachtet hatten. Natürlich, es kommt vor, weil man manchmal gar nicht ahnt, welche späteren neuen wissenschaftlichen Ergebnisse noch kommen könnten.
Z.B. als der Pentium-Prozessor neu in die PCs kam, gab es eine Veröffentlichung eines Physikers, der sicher war, dass man nahe an den physikalischen Grenzen des Machbaren bei den Prozessoren angekommen sei. Die doppelte bis vierfache Rechenleistung bei gleicher Chip-Größe sollte das Limit sein, das man nicht mehr überschreiten könne. Heute aber hat ein Handy-Chip der Oberklasse-Smartphones auf weniger Fläche weit mehr als die vierfache Rechenleistung von damals.
Es sieht für den Laien so aus, als könne man Deine Aussage, Campingliesel, mit solchen Beispielen belegen, kann man aber nicht! Dafür ist die Sache viel zu komplex und damit vernachlässigt man, dass solche Einzel-Aussagen von durchaus renommierten Leuten oft falsch lagen und auch keineswegs von der Mehrheit der Fachleute getragen worden waren. Sie werden aber in der Presse breitgetreten und noch breiter, dass sich mal wieder ein Wissenschaftler geirrt hat.