Re: Dokumente des gesellschaftlichen Wandels
Verfasst: Fr 1. Sep 2017, 20:25
Wer nun Menschen einredet, sie könnten das Himmelsreich erreichen, wer sie nur keusch lebten, der weiß genau, dass das nicht einzuhalten ist. Und er weiß auch, dass sich Menschen bei Übertretungen dieser Gebote schuldig, ja minderwertig fühlen werden: Sie waren anscheinend nicht stark genug. Und wer sich schuldig oder minderwertig fühlt, der ist leichter zu regieren.
Nein, Aria, das Gegenteil ist der Fall. Jemand, der Gott als oberste Autorität ansieht, lbraucht keine anderen (menschlichen) Götter. Es hat schon seinen Grund, warum etwa in Nordkorea Religionen verboten sind. Sie lassen sich mit dem dortigen Heldenkult nicht vereinbaren. Andere Beispiele bringe ich lieber nicht, um den Faden nicht zu verlieren.
.... sie könnten das Himmelsreich erreichen, wer sie nur keusch lebten, der weiß genau, dass das nicht einzuhalten ist.
Dieser Einwand ist genial, da er den Sinn der Bergpredigt offenbart, aus der Du zitiert hast. Ein wenig zu schlicht ist er aber auch, da er die Rechtfertigungslehre außer Acht lässt, die Hauptstreitpunkt während der Reformation war und nun wohl auch von der katholischen Kirche akzeptiert wird:
"sola fide" - allein aus Glauben (und Gnade). Also gerade nicht wegen irgendwelcher Werke. Auch "Sünden" stehen dem nicht entgegen, wobei darunter mehr zu verstehen ist als ein Verstoß gegen Gebote. Mir ist der Sinn der Bergpredigt erst kürzlich bewusst geworden. Dazu greife ich gerne Dein Zitat auf:
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“ (Mt 5,27–28)
Du hast recht, Aria, und ich habe es bislang auch so verstanden: "Das ist eine Steigerung um 100 %, denn er erweitert den 'normalen', physischen Ehebruch auf den in den Gedanken." Die anderen Ausführungen in der Bergpredigt erhärten das: Die "Sünde" fängt schon früher an, nämlich bei den Gedanken. Und das stimmt natürlich auch, wenn man unter Sünde nichts anderes versteht als eine "Entfremdung von Gott". Und damit hat man die Lösung:
Letztlich kann kein Mensch die Gebote einhalten. Keiner. Dank der zugesagten Gnade ist das aber, vereinfacht ausgedrückt, kein "Weltuntergang". Und das ist die gute Botschaft, die in "der" Kirche zu kurz kommt.
Nur am Rande: schon die Urgemeinde hatte sich deswegen gefetzt, weil einige sittenstrenge Gemeinden den anderen vorgeworfen hatten, dann ja Narrenfreiheit zu haben.