Danke an Zett, keksekeksekekse und Nacktbaer für eure sachlichen Beiträge.
keksekeksekekse hat geschrieben:Der Vergleich mit dem Ghettoblaster, den du zuvor gebracht hast ist gar nicht so schlecht - auch hier wird anderen etwas aufgedrängt, was sie nicht wollen, und es hat ebenfalls, nach meinem Verständnis im Rahmen gegenseitiger Rücksicht wirklich keinen Platz an einem Badesee. Nach deiner Argumentation jedoch müssten wir auch den Ghettoblaster akzeptieren, da wir ja für unser Nacktbaden Toleranz fordern und entsprechend auch tolerant sein müssen. Oder willst du das Thema Toleranz jetzt ausschließlich auf sexuelle Handlungen beziehen?
Keineswegs. Der Unterschied zur akustischen Belästigung ist der, daß wir uns dagegen nicht schützen können, im Gegensatz zu optischen Belästigungen wie den hier in Frage stehenden. Bei anderen optischen Belästigungen wie potthäßlicher Kleidung, manchen Automodellen und einem großen Teil moderner Architektur fordert ja auch niemand ein Verbot.
Der Begriff „Toleranz“ (= Duldsamkeit) bezieht sich ja gerade auf Dinge, die uns nicht gefallen bzw. die eine Zumutung sind. Beispiel: Wenn mein Nachbar zur Linken meint, sonntags morgens um 7 sein Regal an die Wand dübeln zu müssen, brauche ich ein gerüttelt Maß an Toleranz, um da nicht aus der Haut zu fahren. Wenn mein Nachbar zur Rechten dagegen ein Neger ist, brauche ich keine Toleranz, weil mir die Hautfarbe völlig egal und keine Zumutung ist, auch wenn der Begriff „Toleranz“ in diesem Zusammenhang leider oft fälschlicherweise bemüht wird.
Viele, die uns nackt baden, wandern oder was auch immer sehen, empfinden das als Zumutung. Wir verweisen sie dann auf die Möglichkeit wegzusehen und auf die Reizüberflutung mit Bildern nackter Menschen in Werbung, Kunst und Film, gegen die sie ja auch nicht aufbegehren. Und wir fordern Toleranz ein, also das Dulden unseres angeblich so unerträglichen Anblicks, wobei wir immer wieder betonen, daß das eigentlich gar keine Zumutung ist, Toleranz also ggf. nur von denen gefordert wird, die diese Anschauung nicht teilen.
keksekeksekekse hat geschrieben:Das Problem bei Waldkauz' Argumentation ist doch das, dass manche Handlungen die persönliche Freiheit des einzelnen in einem nicht akzeptablen Masse einschränken. Ich z.B. will mich am Badesee wohl fühlen können, und das kann ich nicht wenn neben mir onaniert wird.
Da kann ich dir recht geben: Die Freiheit des einen hört da auf, wo die des anderen beginnt.
Meine Gelassenheit mag daher rühren, daß mich das (wenn sich die Badegäste dabei leise verhalten) nicht so stören würde wie dich (vor allem weniger als Techno- oder Volksmusik aus wummernden Lautsprechern oder Zigarettenqualm von der Nachbardecke). Wenn es eine Frau wäre, würde ich vielleicht sogar gerne hinschauen.
Diese Frage von mir hat übrigens noch keiner beantwortet: Wäre in diesem Fall die Reaktion auch so extrem?
FKK-Igel hat geschrieben:Die wirkmächtigere Grenze zieht letztendlich halt der Gesetzgeber
Genau. Mir ist kein Onanier-Paragraph bekannt. Dessen Einhaltung wäre auch kaum zu überprüfen.
Und jetzt überleg mal, wie oft der Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten schon seine Meinung geändert hat, oft in Richtung von mehr Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensentwürfen, manchmal auch zu mehr Strenge und mehr (oder weniger) Regulierung:
- Noch vor 20 Jahren wäre es undenkbar gewesen, daß ein Politiker oder sonst eine hochgestellte Persönlichkeit mit seinem Lebensgefährten bei einem offiziellen Anlaß auftaucht. Homosexuelle Beziehungen wurden streng geheim gehalten. Man denke nur an Mooshammer usw.
- Bis vor weniger als 50 Jahren wurden solche Menschen (jedoch nur Männer) noch strafrechtlich verfolgt. Heute spricht man dagegen von Entschädigungen für die, deren Leben durch so eine Gesetzgebung zerstört wurde, und übt berechtigte Kritik an Staaten wie Rußland, die Pogromstimmung gegen Homosexuelle schüren. Das ist sogar Konsens in allen EG-Staaten (außer Ungarn).
- Der heutige Bundespräsident Gauck ist verheiratet, lebt aber mit einer anderen Frau zusammen - zwei First Ladys zum Preis von einer. Auch dies wäre noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen.
- Früher war es normal und erlaubt, daß Kinder von ihren Eltern und sogar in der Schule geschlagen werden. Heute haben sie ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung; der Begriff „elterliche Gewalt“ im BGB wurde durch die „elterliche Sorge“ ersetzt.
- Bis in die 60er Jahre brauchten verheiratete Frauen die Genehmigung ihres Ehemannes, wenn sie eine Arbeit aufnehmen wollten. Erzählt man so etwas jungen Leuten, erntet man nur ungläubiges Staunen.
- Früher war es strafbar, ein Zimmer an ein unverheiratetes Paar zu vermieten. Das galt als „Kuppelei“ - auch hier wieder staunende Augen ob dieses seltsam altertümlichen Wortes.
- Bis vor 10 bis 15 Jahren war es allgemeiner Konsens, daß jeder eine umfassende Bildung erhalten soll. Dann entschied sich die Politik, daß eine Schmalspur-Bildung nach Wünschen der Wirtschaft ausreichen soll und solches „Gedöns“ wie Philosophie oder Soziologie eigentlich überflüssig ist.
- Früher war es normal, daß man bis in die letzte Faser nach Rauch stank, wenn man Essen war. Heute würden das nur noch wenige hinnehmen. Das Rauchen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Krankenhäusern, Schulen und in den meisten Gaststätten ist mittlerweile verboten. Das bayerische Volk hat mit überwältigender Mehrheit für ein strenges Rauchverbot gestimmt, nachdem die Regierungsmehrheit den Tabak-Lobbyisten auf den Leim gegangen war. Auch das betrunkene Autofahren wird zunehmend geächtet, gesetzlich durch die Absenkung von 0,8 auf 0,5 Promille. Andererseits fordert jetzt sogar ein CDU-Politiker (und zwar Joachim Pfeiffer vom rechten Flügel) die Freigabe von Cannabis. Bisher war das ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen.
An diesen Beispielen wird deutlich, wie sich gesellschaftlicher Wertewandel und Änderungen der Anschauungsweise auch im Recht niedergeschlagen haben. Völlig zu recht beschweren wir uns - auch hier im Forum, wenn Naturisten Schwierigkeiten mit Polizei und Justiz bekommen, nur weil sie nackt spazierengehen, waldlaufen oder radfahren, und hoffen auf mehr Gelassenheit, Toleranz, im besten Fall auf Akzeptanz und Wertewandel. Wir schauen mit Unverständnis auf wildgewordene bayerische Ordnungshüter, skurrile Gemeindesatzungen oder strenge Regelungen in anderen Ländern, selbst so nahen wie der in Appenzell. Manches kann man unter der Rubrik „Andere Länder - andere Sitten“ ablegen, doch wenn es an die Menschenrechte geht (wie z. B. bei den brutalen Auspeitschungen in Saudi-Arabien) kann es kein Verständnis geben.
Grüßle
Waldkauz