Wilhelm_online
Wilhelm, ich wollte dir schon vor einiger Zeit auf deine !Was wäre“-Fragen antworten, komme leider erst jetzt dazu.
Was wäre, wenn wir Nacktheit nicht mehr direkt mit Sexualität verbinden würden?
Innerhalb der FKK-.Bewegung, Nudismus und Naturismus wird diese Verbindung als solche nicht gesehen. Die Nacktheit als solches oder, wie du es bezeichnest „die natürliche Nacktheit“ bezeichnet den natürlichen Zustand des Menschen. Der Mensch ist wissenschaftlich gesehen nicht nackt, weil er keine Kleidung trägt. Er ist es, weil ihm das Fell fehlt. Innerhalb unserer zivilisatorischen Entwicklung ersetzte die Kleidung das fehlende Fell zu ersetzen.
Und was wäre, wenn wir dadurch den menschlichen Körper wieder in seinem natürlichen Zustand akzeptieren?
Die Akzeptanz unseres Körpers ist völlig unabhängig davon vorhanden oder eben nicht vorhanden, ob wir bekleidet sind oder nicht. Da spielt die Sexualität nur eine untergeordnete Rolle.
Was wäre, wenn Kinder dadurch ohne die Last von Scham und Tabus aufwachsen könnten?
Die Scham von seinem Inhalt hergesehen, also weswegen wir uns schämen sollen, ist eine durch die Erziehung vermittelte Botschaft. Dieser Schaminhalt wird über die Moralvorstellung gesteuert, ist also ebenfalls nicht von der Kleidung abhängig.
Was wäre, wenn Nacktheit kein Skandal, sondern im Alltag normal wäre?
Die Nacktheit als solches stellt heutzutage keinen Skandal mehr dar. Es wird von vielen nur deshalb als ungehörig empfunden, weil sie in der Tat nicht alltäglich ist.
Was wäre, wenn Medien den menschlichen Körper nicht mehr übersexualisieren würden?
Was ist eine „Übersexualisierung des Körpers“? Der Mensch ist und bleibt ein sexuelles Wesen. Was jedoch nicht bedeutet, dass alles, was mit dem Körper zusammenhängt, mit der Sexualität im direktem Bezug steht.
Was wäre, wenn wir den Körper nicht mehr als Ware in der Pornografie ausbeuten würden?
Pornographische Darstellungen gibt es seit der Zeit, als der Mensch Bilder herstellte. Welche Darstellungen pornographisch sind und welche nicht, kommt immer auf dem kulturellen Hintergrund an. Auch stellt die Pornographie keine Ausbeutung des Körpers dar. Sie ist nach unserem Verständnis ein Zerrbild innerhalb der Sexualität.
Was wäre, wenn Perversion nur deshalb existiert, weil wir natürliche Anteile unseres Menschseins unterdrücken?
Die Perversion existiert nicht deswegen, weil wir die sexuellen Aktivitäten des Menschen im engeren Sinn gesehen nicht in die Öffentlichkeit tragen. Perversionen werden einmal kulturgeschichtlich definiert und können Ausdruck einer Erkrankung sein.
Was wäre, wenn die Religionen nie ihre moralische Kontrolle über den Körper ausgeübt hätten?
Auch wenn ich jetzt einen Sturm der Entrüstung auslösen könnte, die Religionen haben zu keiner Zeit eine moralische Kontrolle über den Körper ursächlich ausgeübt. Sie sind hier der bürgerlichen Moral gefolgt oder haben auf eine solche reagiert, die wir auch heutzutage ablehnen würden. Mir ist keine Religion bekannt, in der es feste Bekleidungsvorschriften gibt, die theologisch begründet wären. Ja, es gibt Traditionen, in einigen Religionsgemeinschaften, denen es jedoch an einer theologischen Begründung fehlt. Ja, nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum in einigen Regionen. Man sollte also theologische Aussagen nicht mit gelebter Tradition verwechseln.
Und was wäre, wenn dadurch die weibliche Sexualität nicht patriarchalen Vorstellungen unterworfen wäre?
Gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen der weiblichen und männlichen Sexualität, sofern dieses nicht durch die unterschiedliche Anatomie bedingt ist? Ist dieses nicht eine Frage, wie wir die Frau als solches in unserer Gesellschaft sehen?
Für mich werden diese deine Fragen sehr von der Sorge überschattet, dass die Sexualität als solches unsere Kleidungslosigkeit dominieren könnte oder uns dieses unterstellt würde. Ich rede jetzt bewusst nicht von der Nacktheit, denn die Nacktheit beschreibt immer ein Fehlen. Und was fehlt, wird immer aus dem Sinnzusammenhang deutlich, in der dieser Begriff, eben die Nacktheit, genutzt wird. Da uns aber beim Ablegen der Kleidung nichts fehlt, sind wir auch nicht Nackt im Sinne des Begriffes „Nackt“. Sollte also eine Gesprächspartnerin/ein Gesprächspartner die Meinung vertreten, mit dem Weglassen der Kleidung würden wir sexuelle Ziele vertreten, so wäre sie/er zu befragen, wie sie/er zu dieser Meinung komme. Du wirst dann schnell feststellen, dass du jetzt keine nachvollziehbare Erklärung bekommst und der Verlegenheit mit dem Argument: „Ich meine ja nur“ Ausdruck gegeben wird. Sei dir also sicher, wenn wir uns unbekleidet begegnen, dann spielen sexuelle Impulse oder Wünsche eine viel geringere Rolle, als wenn wir uns bekleidet begegnen.