Zett hat geschrieben:Das Leben begann als die letzte Droge für mich gestorben war.
Das glaube ich dir aufs Wort, denn dieses Bekenntnis ähnelt sehr denjenigen, die z.B. sagen: Als ich Gott für mich entdeckte und die Irrungen meines früheren Lebens hinter mich ließ, fühlte ich mich wie neugeboren, begann wirklich zu leben.
Aber von nah betrachtet, hast du die letzte Droge wahrscheinlich nur mit der allerletzten ersetzt, die da heißt: neigeln, ganzjährig. Dagegen ist nichts einzuwenden, schließlich brauchen sehr viele Menschen etwas, woran sie glauben können, denn das erleichtert offenbar das Leben, sonst würden nicht so viele Religionen und Ersatzreligionen existieren.
Ersatzreligionen können den richtigen Religionen sehr ähnlich sein. Das wird an dem Suchtfaktor deutlich: Sobald der Stoff, aus dem die Träume sind, fehlt, wird’s kritisch. Da gibt es kaum Unterschiede, ob es einem nur an Opium fürs Volk mangelt oder an dem echten, denn bei beiden müssen sich die Kandidaten dann mit ungeschönter Realität auseinander setzen, wovor sie zuvor gewissermaßen ja geflüchtet sind. Oder sie erst gar nicht kennengelernt haben, weil sie im Kokon einer Religion oder Ideologie aufgewachsen sind.
Ein gutes Beispiel sind hier unsere Freunde im Osten der Republik, die plötzlich mehr auf ihren eigenen Füßen stehen müssen als vorher und dafür bis zum heutigen Tag die Freunde im Westen verantwortlich machen. Oder eben sonstige Fremde. Wobei die wirklich nichts dafür können. Aber sie eignen sich als Ersatztäter, denn jemand anderer muss ja für das jetzige Elend verantwortlich sein, schließlich war zuvor zwar nicht alles goldig, dafür hatte man aber weniger Sorgen.
Weil der Staat einem diese Sorgen abnahm. Das ist ein wenig so wie mit den Vögeln, die nicht säen und trotzdem vom himmlischen Vater ernährt werden. Man sieht: Vater Staat und Gottvater erfüllen hier die gleiche Funktion. Der Preis für diese Fürsorge ist der Verzicht auf selbständiges Denken. In dem einen Fall sagte die Partei einem, was er zu denken hat, und in dem anderen Fall die Bibel oder ersatzweise der Papst (Gregor XVI. in Enzyklika
Mirare vos):
„Wir kommen nun zu einer anderen folgenreichsten Ursache von Übeln, von denen die Kirche gegenwärtig zu Unserem Kummer heimgesucht wird, nämlich dem Indifferentismus bzw. jener verkehrten Meinung … man könne mit jedem beliebigen Glaubensbekenntnis das ewige Seelenheil erwerben, wenn man den Lebenswandel an der Norm des Rechten und sittlich Guten ausrichte. … Und aus dieser höchst abscheulichen Quelle des Indifferentismus fließt jene widersinnige und irrige Auffassung bzw. vielmehr der Wahn, einem jeden müsse die Freiheit des Gewissens zugesprochen und sichergestellt werden.
[…]
Es ist völlig absurd und im höchsten Maß eine Verleumdung, zu sagen, die Kirche bedürfe einer … Erneuerung … als ob man glauben könnte, die Kirche wäre Fehlern, Unwissenheit oder irgendeiner anderen menschlichen Unvollkommenheit ausgesetzt.“Man kann hier den Begriff Kirche mit dem Begriff Partei ersetzen, der ja in dem berühmten Satz vorkommt: „Die Partei hat immer Recht!“
Soweit, Zett, ist dein Neigeln noch lange nicht. Obwohl du dir alle Mühe gibst, Jünger für deine Idee, an die du fest glaubst, zu gewinnen. Neigeln mag gesund sein, aber mehr auch nicht. Für dich jedoch ist Neigeln einer Art Ersatzreligion, und da beginnt es gefährlich zu werden.
Okay, für dich vielleicht nicht, denn du hast das im Griff, kannst jederzeit damit aufhören, oder?