Dieser Satz hat einen hohen Wahrheitsgehalt. Da hatte ich zu Beginn meiner Tätigkeit in der Pharmaindustrie so einige Schlüsselerlebnisse, denn ich kam da so ganz unbefangen hinein und hatte zum Beispiel damals bereits eines der Bücher über die durch Medikamente ausgelösten Krankheiten gelesen. Auch wenn es "nur" auf dem Stand der 1970ger Jahre war, wusste man dennoch schon so einiges, was meinen Kollegen und Vorgesetzten denn in der Pharma gar nicht gefiel. Als kritischer Wissenschaftler hatte man da einen schweren Stand, obwohl ich ja nur wollte, dass man da die Informationen der externen Kritiker viel mehr in die Forschung einfließen lässt, um die Sicherheit der zukünftigen Produkte zu verbessern. Irgendwann habe ich mich im Schwerpunkt anderen wissenschaftlichen Themenbereichen zugewandt (die Entwicklungen in der Pharma aber in der Literatur bis zum Ende weiter verfolgt), weil ich da zu viel "auf Granit gebissen" habe.
Was der Autor da, soweit man das aus dem kurzen Texthinweis entnehmen kann, über die Deutung der Studien sagt und das Problem, dass die Zeit oft fehlt, die Studien selbst mal zu lesen, das ist richtig und ein wirkliches Problem, denn da ist in der Interpretation immer eine bestimmte Tendenz möglich (und findet statt genau wie er sagt) und in der weiteren Folge der Interpretation einer vorliegenden Zusammenfassung für einen noch kürzeren Text in der Ärzte- oder Apothekerzeitung, oft eben nicht aus dem Original, sondern aus einer Zusammenfassung, die bereits interpretierten Text enthält, ist es so, wie wenn eine Aussage in Kette weitergesagt wird. Die Änderungen werden immer stärker.
Allerdings ist auch der Autor dieses Buchs selbst auch sehr mit den dogmatischen Regeln in unserer Pharma-Versorgung verwurzelt:
Die meisten Empfehlungen im Bereich Gesundheit basieren auf Beobachtungsstudien. Und mit diesen kann man gar nichts anfangen, sie sollten eigentlich gar nicht veröffentlicht werden. Sie stellen lediglich mathematische Bezüge zwischen zwei Sachverhalten her.
Damit und mit seinem Beispiel das darauf folgt, liegt er voll daneben. Das Beispiel ist überhaupt nicht auf Wirkstoffe für die Gesundheit übertragbar und das Festhalten an dieser Aussage in Mitteleuropa ist eine der Ursachen der zu hohen Gesundheitskosten.
Die ganze traditionelle chinesische Medizin beruht nur auf Beobachtungen. Erst in der neueren Zeit werden dort zu manchen besonders viel benutzten Präparaten auch Doppel-Blindversuche durchgeführt, mit denen im Nachhinein schon manche Wirksamkeiten der Jahrtausende alten Beobachtungsmedizin nachgewiesen wurden. Alle Rezepte der Hildegard von Bingen beruhen auf Beobachtungsmedizin. Die Wirksamkeit sehr vieler dieser Rezepte ist unbestritten und an vielen Einzelfall-Erfolgen nachgewiesen. Die Sache der multifaktoriellen Wirkungen bei den Naturheilmitteln ist aber zu komplex, als dass man da überhaupt Doppelblindversuche machen könnte. Die gehen immer nur mit Einzelwirkstoffen, während die Naturheilkunde gerade auf die Kombinationswirkungen setzt.
Nehmen wir einen anderen ganz aktuellen Fall: In den USA ist die Verwendung von Trans-Fettsäuren (chemisch gehärtete Pflanzenfette) in industriell erzeugten Lebensmitteln und in Brat- und Frittierölen verboten. Dänemark hat vor einiger Zeit nachgezogen und diese Fette zwar nicht ganz verboten, sondern einen recht niedrigen Grenzwert festgesetzt. Der Erfolg ist in der Bevölkerungsgesundheit inzwischen signifikant zu erkennen. Die Zahl der seit der Begrenzung weniger aufgetretenen Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen lässt sich als Zahl quantifizieren und es ist eine 4-stellige Zahl jährlich in Dänemark.
Unsere deutsche Behörde sieht aber keinen Grund, hier irgend eine Begrenzung einzuführen, weil es keine Doppel-Blind-Studie gibt, die eine gesundheitliche Auswirkung der trans-Fettsäuren beweist. Was da noch so alles in unserer Durchschnittsernährung zur Steigerung der Kosten im Gesundheitswesen führt, könnte einige Seiten Text füllen, aber das wäre mir jetzt an dieser Stelle zu viel.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang nur wieder (und darauf hatte ich schon mal hingewiesen): Seht euch die Sendung "Die Ernährungs-Docs" an, die zurzeit im WDR läuft und mit einer neuen Staffel wohl auch dann wieder im NDR. Die Ärzte, die in dieser Sendung auftreten gehören zu einer seltenen Art in Europa, die nämlich zahlreiche ernährungsbedingte Krankheiten aufdecken (in der letzten Sendung ging es u.a. um eine chronische Kiefernhöhlenentzündung), wo andere nur zu Pharmapräparaten gegriffen haben.
Wenn ich hier lese:
Doch solche voreiligen Schlussfolgerungen werden im Bereich der Gesundheit oft gemacht. Eine Beobachtungsstudie ist dafür da, eine Hypothese zu liefern, auf deren Basis weitergeforscht werden kann.
Dann ist mir schon klar: das Buch kaufe ich nicht! Für die ganzen sehr erfolgreichen Ernährungsumstellungen der "Ernährungs-Docs" gibt es auch nur die Beobachtungsmedizin und keine Doppel-Blind-Studien! (Ebenso für die Naturheilmittel, die mir bei einem seit 5 Jahren chronischen Problem mit einem etwas weniger bekannten Virus sehr helfen - Ärzte konnten mit klassischer Medizin nicht helfen.)
Dann:
Wann haben Studienergebnisse für die allgemeine Bevölkerung dann einen Nutzen?
Die einzigen Studien, auf Basis derer man Empfehlungen für die Änderung des Lebensstils oder des medikamentösen Verhaltens geben darf, sind die sogenannten Interventionsstudien. Und da sind auch nur die doppelblind randomisierten Studien relevant, ...
Also dürften auch weder die Ernährungs-Docs ihre sehr erfolgreichen Empfehlungen für die Änderungen der Ernährungsgewohnheiten geben, noch dürfte bei mir eine Kombination von Mitteln aus der Natur hilfreich sein.
Also, wenn ich so etwas lese, dann kommt mir doch die Galle hoch! Auch wenn der Autor mit den anderen kritischen Aussagen über die Bewertung von Studien und die oft weggelassenen wichtigen Details aus den Ergebnissen (z.B. Weglassen der Info über regional unterschiedliche Ergebnisse) voll Recht hat.