von Hans H. » Di 25. Jul 2017, 00:20
Selten so eine Ansammlung von Schwachsinn gelesen, wie in diesem verlinkten Artikel von Cicero! Der, der das schreibt, glaubt wohl, in der '68ger Bewegung hätten alle dieselben Meinungen und Ziele gehabt, die er da zitiert und genau die sind dann in die Chefsessel gekommen um das "anzustellen" was er dann kritisiert. Nein! Das waren nicht dieselben Menschen. Das ist einfach totaler Quatsch.
Ich zähle mit voll dazu zu den '68gern und ich habe an sehr vielen Studentenversammlungen teilgenommen. Ich habe die extreme Vielfalt an Meinungen mitbekommen und gesehen, was aus den einen und den anderen geworden ist. Er hat sogar so wenig Ahnung von dem was er schreibt, dass er so einen Unsinn einfügt wie: "Die Generation, die von ihren Eltern die 40-Stunden-Woche und das Wirtschaftswunder erbte". Die 40-Stunden-Woche hatten wir noch lange nicht, als ich mit der Arbeit in der Industrie begann! Übrigens betrug der normale Jahresurlaub damals 18 Tage und heute in der deutschen Industrie überall 30 Tage. Nichts war da von den sozialen Errungenschaften geerbt, die heute das Arbeitsleben doch sehr viel gesundheitsverträglicher machen, als damals.
Was u.a. definitiv von den damaligen vielen Studentenversammlungen erreicht wurde, war die deutliche Steigerung der Ausgaben für Universitäten (zahlreiche Neubauten aufgrund der Proteste der ´68ger!), weil Ende der 60ger Jahre und Anfang der 70ger Jahre die Situation einfach katastrophal war: 30 Minuten früher zur Vorlesung kommen, um noch auf der Treppe zuwischen den Sitzreihen einen Platz zu bekommen, 1 Std. früher für einen richtigen Sitzplatz, wenn man 10 min früher kam, stand man draußen vor der Tür, sah nichts und mit Glück hörte man ein paar Wortfetzen. (Übrigens waren wir auch in der Schule bis zur 10. Klasse immer mehr als 40 Schüler, in der letzten Klasse dann 36. Also war die "Masse", die an die Unis drängte vorhersehbar.)
Im Naturwissenschaftlichen Praktikum (eine hessische Uni) hatten wir 20 Arbeitsplätze im Labor, die auf 120 Studenten im Schichtwechselbetrieb aufgeteilt wurden (täglich drei Schichten, nichts in den Schränken lassen, da fast niemand ein Auto hatte, blieben die Sachen in alten Reisetaschen etc. zwischendurch in Nebenräumen gelagert, und wenn man Glück hatte, fand man auch das meiste darin wieder. Die Politik hatte die Situation ignoriert, bis massiv in großer Zahl Schreiben mit Fotos und mit Unterschriften von über 80% der Studenten eingingen. (Diese Beteiligungsquote erreicht heute niemand mehr.)
Ich war auch während meiner Freiburger Jahre auf einigen der Vor-Gründungsversammlungen der Organisation dabei, die den Naturschutz als ein wesentliches Anliegen hatte (das Wort Umweltschutz kannten wir noch nicht). Diese Organisation hat etwas später die Grünen gegründet. Von denen habe ich mich kurz davor verabschiedet, weil unter ihnen zu extrem linke Ansichten dominierend vertreten waren.
Dennoch muss man doch in so einer Bilanz zugeben, dass die sehr viel in der Zwischenzeit erreicht haben. Auch damals hatten sie eine Menge erreicht, zum Beispiel in den Aktionen "Rettet den Federsee" (heute ein Naturschutzzentrum statt damals geplanter Industrieansiedlung) / "Rettet den Mooswald" (Begrenzung der Grundwasserentnahme, so dass die Ökologie gewahrt blieb). Mit den damals begonnenen Aktionen gegen das AKW Fessenheim hatten sie natürlich keinen Erfolg - es geht ja auch nicht alles.
Ich habe nicht wenige kennen gelernt, die im RCDS aktiv waren. Die waren weniger laut, als die Linken, waren aber zahlenmäßig deutlich mehr. Von diesen haben sehr viele schnell Karriere gemacht, weil sie von Beginn an gute Beziehungen zu älteren politisch aktiven Leuten hatten. Wenn die dann in den Chefsesseln das verursacht haben, was Cicero angreift, was in aller Welt hat denn das mit denen zu tun, die auf der Straße laute Parolen geschwungen haben und die Cicero hier als die damaligen Revoluzzer bezeichnet.
Nichts - rein gar nichts haben die Einen mit den anderen zu tun! Die Revoluzzer von damals haben nur in extrem geringer Zahl ein wenig Karriere geschafft, aber nicht in die Positionen, in denen man die von Cicero kritisierten Einflüsse gehabt hätte. Man kann da nicht von der einen einzigen Ausnahme eines Grünen Politikers (Joschka F.), der damals mit auf der Straße randaliert hat und aufgrund seiner Aktivität in der Partei politische Karriere gemacht hat, auf andere schließen.
Insgesamt gesehen ist das, was der Autor macht, ein "alle über einen Kamm scheren", also die Behauptung, alle '68ger sein so gewesen, wie die, die auf der Straße laut waren. Das war eine kleine aber laute Minderheit. Die Aussage "– marxistisch beseelt – " stimmt für einen kleinen, lauten Teil von damals, aber nicht für die überwiegende Mehrheit, die aber in anderen Dingen auch aktiv war.
Das Thema der "sexuellen Revolution" ist auch sehr viel vielschichtiger, als so pauschal dahin geschrieben. Da gab es die Kommunen wie die mit dem Langhans, aber das war doch nur eine winzige Kleingruppe, die in der Presse viel Aufsehen erregt und hin und wieder manche Nachahmer gefunden hat. Wir hatten in der Studentensiedlung auch ein Nachahmer-Stockwerk. Das waren 12 Bewohner von insgesamt über 500. Ein paar Bewerber für dieses Stockwerk gab es auch ständig. Aber entscheidender war doch, dass man damals Nacktbaden (ohne Sex) an vielen Seen im Umfeld etabliert hat - mit sehr großem Erfolg und mit Beteiligung aller politischer und sonstiger Überzeugungen. Mein Eindruck war, dass es so leicht war, dies zu etablieren, weil eine größere Zahl der Älteren mit der Adenauer-Prüderie auch sehr unzufrieden waren und ganz gut fanden, dass es eine neue Generation gab, die das ändern wollten. Jedenfalls war da nichts in Bezug auf "Sex in der Öffentlichkeit" dabei. Im Freien schon, aber gut im Versteck, und darüber sprach man auch ganz offen, dass dies zur Erfüllung des Liebeslebens wichtig sei und dazu gehöre, bis hin zu den Diskussionen, ob auch am einsamen Strand bzw. hinter Dünen, mit Gegenargumenten wie: "Sand im Getriebe kann ich nicht gebrauchen!".
Die Leute von den Kommunen haben aufgrund ihrer tief sitzenden extrem linken Einstellung in keinem einzigen mir bekannten Fall irgend etwas Nennenswertes später beruflich erreicht. Die Nacktbader von damals gehörten zu allen der sehr verschiedenen Kreisen. Darunter waren "Revolluzer" und auch gemäßigte Naturschutz-Anhänger, darunter waren auch andere Aktive der Studentenversammlungen, auch RCDS-Mitglieder und eben auch solche, die wie ich sich im Wesentlichen um Leistungssport und Musik (oder andere Interessen, und nebenbei noch um das Studium) gekümmert haben. Darunter war auch ein Assistent des Lehrstuhls für Parapsychologie von Prof. Bender, der mit recht bunten Klamotten auffiel und später mal das Forum Wald-FKK gründen sollte (natürlich wusste ich damals nichts von seinen FKK-Ambitionen).
Jedenfalls waren wir sowohl in unserer Musik-Gruppe, als auch in der Sport-Trainingsgruppe jeweils viel mehr Leute, als die wenigen Kommune-Anhänger. Unsere Gruppen gehörten genauso dazu zur '68ger Generation, auch wenn das niemanden heute interessiert. Doch nur die werden als Beispiel für die ganze Generation dargestellt, die irgendwie mehr Aufsehen erreicht hatten. Was für eine blinde und ignorante Verallgemeinerung!