Eule hat geschrieben:Ich habe einen Beleg geliefert. Zur Erinnerung, ich habe aus folgendem Büchlein zitiert: Lichtkämpfer, Sonnenfreunde und wilde Nackte, Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. - Berlin, Dezember 2000. Somit geht dein Vorwurf, ich würde keine Belege liefern, fehl.
Was du zitiert hast, war Folgendes:
"Die Freikörperkultur, damals Nacktkultur genannt, entsteht im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts im Kontext der Lebensreformbewegung, die eine Erneuerung der gesamten Lebensführung (Ernährung, Kleidung, Wohnen, Gesundheit- und Körperpflege) anstrebt. In Anknüpfung an medizinisch-naturheilkundliche Konzepte, die seit Ende des 18. Jahrhunderts dem unbekleideten "Baden in Licht, Luft und Sonne" eine besonders gesundheitsfördernde Wirkung zuschreiben, wird der nackte Körper als "natürlicher" Ausdruck der Körperlichkeit wiederentdeckt. Freikörperkultur versteht sich als Mittel der "Befreiung" von einer "krankmachenden" Lebensweise in einer als krank empfundenen Gesellschaft."Das ist kein Beleg, sondern ein allgemeines Blabla. Schon der erste Satz in diesem Zitat ist nicht ganz richtig, denn die Nacktkultur entstand nicht erst im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Lebensreformer Karl Wilhelm Diefenbach hinweisen, über den die Wikipedia sagt –
Zitat (Fettschreibung von mir):
Diefenbach gilt als „Urvater der Alternativbewegungen“ und einer der bedeutendsten Vorkämpfer der Lebensreform, der Freikörperkultur und der Friedensbewegung. Seine Landkommune Himmelhof in Wien Ober Sankt Veit (1897–1899) war Vorbild für die von seinem Schüler Gusto Gräser gegründete Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona, die auch als „Gral der Moderne“ bezeichnet wird.Claudia Wagner hat sich in ihrer Dissertation intensiv mit Leben und Wirken des Lebensreformers Diefenbach beschäftigt –
Zitat:
Bezüglich seiner philosophischen Grundlagen war Diefenbach durch tiefen Katholizismus und hörige Gottgläubigkeit seitens seines Elternhauses geprägt. Er rebellierte allerdings sehr früh gegen die Institution Kirche, gegen die „Schwarzröcke“ und den »tabakstinkenden Zölibaterich« und machte sich auf die Suche nach dogmenloser „Menschlichkeit“, nach mystischen Mächten in der durchgöttlichten Natur, in exotischen Philosophien, die sich schließlich in der Theosophie verbanden, und in einem übersteigerten Individualismus, der in Nietzsches Übermenschentum kulminierte. »Natur« und »Selbst« − mit diesen Schlagworten leitete Diefenbach einen Kulturwandel ein, der das gesamte folgende Jahrhundert prägen sollte.
(…)
Würde man Diefenbachs Einflüsse nachverfolgen, käme man über seinen Schüler Gusto Gräser und die Kommune des Monte Verità zu den Blumenkindern Amerikas und dann schließlich zur Hippie-Bewegung der 1960er Jahre. Vergleichbar ist sicher der Kampf beider gegen ein autoritäres Regime, der sich bei Diefenbach gegen das wilhelminische Kaiserreich entlud, in den 1960er Jahren gegen den "Muff von 1000 Jahren" und die elitären Strukturen der Nachkriegsgesellschaft protestierte.
(…)
Es bleibt sicher keinem, der sich intensiv mit Leben und Werk Diefenbachs auseinandersetzt, verborgen, dass er gerade in Bezug auf die Lebensreform unsere Epoche mit ihrem aufgeklärten und vielfach gelebten Vegetarismus, mit ihrer Öffnung zu Sonne, Luft und Licht, mit ihrer Begeisterung für sportliche Betätigung und ihrem heilpraktischen, alternativen und ökologischen Engagement viele Bewegungen weit vorausahnte. Auch die eng geschnürte Korsage wurde von Diefenbach endgültig geöffnet, die Nacktkörperkultur und die sexuelle Befreiung des 20. Jahrhunderts unter seiner Kutte und in seiner Kommune bereits gelebt. Bemerkung: Theosophie wurde maßgeblich durch die 1877 in Deutschland erschienene Schrift Helena Blavatskys "Isis entschleiert" beeinflusst. Sie lebte mehrere Jahre in Indien. Auch von Hermann Hesse, der vor dem I. Weltkrieg mehrere Monate in Indien lebte, brachte die östliche Philosophien mit, die er in dem Buch "Siddhartha" verarbeitete. Das Leben der indischen Asketen, das er in diesem Werken thematisierte, beeindruckte die westlichen Welt genauso wie sein späteres Werk "Der Steppenwolf".
Eule hat geschrieben:Natürlich gab es schon damals und ebenso noch heute insbesondere im indischen Subkontinent religiös bedingte Nacktheit, die jedoch keinen Einfluss auf unser europäisches moralisches Verständnis hatten und haben.
Ist dir wirklich verborgen geblieben, dass in den 1960-70er Jahren Scharen von jungen Menschen nach Indien pilgerten, und von dort indische Philosophien mitbrachten? –
Zitat:
Indien und insbesondere der portugiesisch geprägte kleine Bundesstaat Goa stellte das finale Ziel zahlreicher Reisender dar. Mehrere Reisende wurden in Indien vom Hinduismus beeinflusst, sammelten spirituelle Erfahrungen in Ashrams, schlossen sich der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein an oder versuchten ein Leben als Sadhu.
(…)
Mehrere Reisende trugen nach ihrer Heimkehr zur Popularisierung von Piercings im westlichen Kulturkreis bei, nachdem sie sich in Indien von Nostril- und Ohrpiercings hatten inspirieren lassen.Auf die
Sadhus habe ich schon in meinem ersten Beitrag hingewiesen und über Piercings diskutieren wir in diesem Forum seit Anfang an. Und du sagst nun, indische Philosophien
hatten und haben „keinen Einfluss auf unser europäisches moralisches Verständnis“.