Eule hat geschrieben:Also, die von dir geschilderten menschlichen Fehlverhalten hat es gegeben. Dieses Fehlverhalten war weit verbreitet und es war allgemein bekannt.
Du darfst die damaligen moralischen Ansichten nicht aus dem heutigen Blickwinkel betrachten. Das heißt: Wenn etwas damals weit verbreitet war, dann war das kein Fehlverhalten mehr, sondern Standard. Für die damalige Bevölkerung waren Vorkommnisse, die ich geschildert habe (Tarzancomics, Die Sünderin, Blechtrommel), Ergebnis des Fehlverhaltens einzelner.
Eule hat geschrieben:Auch wenn in der allgemeinen gesellschaftlichen Grundströmung der Konservatismus vorherrschte, so gab es in den 1950ger Jahren schon breite Kreise, die diesen Konservatismus in Frage stellten und bekämpften.
Hier von breiten Kreisen zu sprechen, geht nicht, denn wären sie wirklich so viele, die anders dachten, hätte es die obigen Vorkommnisse nicht geben dürfen.
Eule hat geschrieben:Der politische Konservatismus wurde durch die Regierung Brandt gebrochen, der kirchlich kath. Konservativismus brach für viele erst sichtbar durch das II. Vatikanum. Der moralische Konservativismus wurde, entgegen deiner Vermutung, mit der 68ger Revolte nicht gebrochen.
Da widersprichst du dir: Brandt wurde 1969 Kanzler, hier keinen Zusammenhang mit der 68-Revolution zu sehen, erfordert schon eine gewisse Sturheit, etwas, was zusammenhängt, nicht sehen zu wollen. Brandt kam, wie später auch Kohl, an die Macht, weil sich der Zeitgeist änderte.
Eule hat geschrieben:Die 68ger Revolte ist mit seinem Anliegen gescheitert, hat aber, und dieses muss hier auch gesagt werden, die Möglichkeit eröffnet, über die Sexualität in aller Öffentlichkeit zu reden.
Nein, nicht nur reden über die Sexualität wurde erlaubt, es fielen auch viele Gesetze, die bis dahin in die reale Sexualität der Menschen eingriffen – z.B. das Kuppeleigesetz und der § 175 StGB, der homosexuelle Handlungen Erwachsener unter Strafe stellte. Regierung Brandt setzte das und anderes durch, trotz heftiger Gegenwehr der Kirchen und der Unionsparteien.
Eule hat geschrieben:Der Trugschluss, die Irrmeinung, dass die Nacktheit zwangsläufig etwas mit der Sexualität zu tun habe und daher moralisch äußert fragwürdig sei, besteht bis zum heutigen Tage fort.
Noch einmal: Wenn die Mehrheit meint, die Nacktheit hat etwas mit der Sexualität zu tun, dann ist das kein Trugschluss, sondern Standard. Du weiß ganz genau, dass die Mehrheit bestimmt, was als normal zu gelten hat, nicht eine Minderheit wie wir es sind. Wir sind Exoten, nicht die Textiler – und werden deswegen nur geduldet.
Eule hat geschrieben:Dass die FKK-Welle in den 70ger Jahren nur ein aufgesetztes modisches und unreflektiertes Verhalten darstellt, kannst du daran erkennen, dass es heute teilweise prüder zugeht, als es vor den 68-ger Revolte war.
Dass auf die viele Reformen der SPD geführten Regierung wieder eine teilweise Restauration zu früheren Verhältnissen erfolgte und erfolgt, ist eine normale Reaktion: Das hat man übrigens nach der französischen Revolution beobachtet, ebenso wie nach den Reformen der Weimarer Republik.
Eule hat geschrieben:Dass die Nacktheit gegen den Schönheitswahn, ich denke besser Jugendwahn, steht, ist aus der Sache selbst verständlich. Denn in der Nacktheit kann man keine Schönheitsfehler verstecken. Hier ist darauf zu achten, dass dieser Schönheitswahn oft hinter einer moralischen Aussage versteckt wird, um gegen die Nacktheit als solches zu argumentieren.
Nein. Auch die FKK-Bewegung der 1920er Jahre bevorzugte genauso schöne Körper wie die der 1970er Jahre – schaue bitte im FKK-Museum nach.
Obwohl es schon Bestrebung gab, das zu ändern. So hat z.B. die Zeitschrift Brigitte fast 2 Jahre lang versucht, nicht mehr mit professionellen Models zu arbeiten, aber die Leserinnen haben das nicht goutiert und verlangt, nur noch „schön“ gewachsene Models präsentiert zu bekommen. Das Streben nach Schönheit ist wohl genetisch bedingt, das zu ändern, ist nicht so ohne weiteres möglich.
Eule hat geschrieben:Zusammenfassend kann ich sagen, die 1950ger Jahren waren überwiegen konservativ geprägt, aber nicht so extrem, wie du es schilderst.
Ich wiederhole: Meine Beispiele sagen mehr über die Moral der 1950er Jahre in Deutschland, als dein Erleben als Student in Groß- oder Universitätsstädten. Bitte mache hier nicht den gleichen Fehler wie Campingliesel, die ihr Erleben in der Provinz immer höher stellt, als das, was Historiker sagen.
Eule hat geschrieben:Heutzutage ist dieser Konservatismus noch nicht gänzlich überwunden.
Natürlich nicht, schließlich feiert Prüderie immer neue Siege – es ist fast, als ob es das Laissez-faire der 1970er Jahre nie gegeben hätte.
Damit will ich diese Diskussion mit dir von meiner Seite aus beenden, denn ich glaube nicht, dass wir beide noch auf einen Nenner kommen – egal wie viel wir hier noch schreiben.