Tim007 hat geschrieben:Nur warum? Meine Auffassung: Es ist tatsächlich mehr angeboren, als viele wahr haben wollen. Erziehung kann unterschiedliche Anlagen hervorheben oder veröden, mehr nicht. Letztlich ist das alles aber höchst streitig.
Da ist eine Menge dran, aber wie so oft: Sowohl die Prägung durch Erziehung und Umfeld als auch die angeborenen Faktoren spielen eine große Rolle. Dies brachte mich dazu, hier mal zu reagieren:
Tim007 hat geschrieben:..., werde ich im nächsten Beitrag so spannende Sachen schildern wie die geteilte Begeisterung für Rosenkohl innerhalb der Familie.
Das ist ein nur bedingt passender Vergleich, führt mich aber dennoch dazu, den Vergleich etwas im Detail auszuführen.
-> Und warum? -> Weil man damit im Vergleich einiges zu der Eingangsfrage erklären kann!
Wer also die Eingangsfrage ernst nimmt, sollte den folgenden Text nicht überschlagen weil er lang ist. Eine kurze Erklärung ist in solchen Fällen nicht möglich.Das Empfinden auf bestimmte Bitterstoffe schwankt bis zum Faktor tausend bei verschiedenen Menschen. Da bei der Bestimmung dieses Faktors die Verdünnungsstufen bestimmt werden, ab der eine Testperson in der Lage ist, den Bitterstoff gegenüber klarem Wassergeschmack wahrzunehmen, ohne dabei zu werten, wie der Geschmack empfunden wird, handelt es sich bei diesem Faktor tausend ausschließlich um einen angeborenen Faktor. Damit schmeckt Rosenkohl so wie auch gut gereifter Camembert manchen äußerst bitter und andere empfinden den Bittergeschmack nur schwach. Das ist die angeborene Komponente.
Dazu kommt die sozialisierte Komponente, die gelernt dazu führt, bestimmte Bitternoten in Speisen in Mischung mit Gewürzen etc. gut zu finden. Z.B. (hat jetzt nicht mit bitter zu tun, ist aber ein Beispiel) Schokolade mit Chili empfindet man ggf. gut. wenn man in Lateinamerika aufgewachsen ist - durch Gewohnheit, da ist der Effekt durch Sozialisierung nicht zu unterschätzen. So kann es nicht angeborene Unterschiede in einem gewissen aber durch den angeborenen Anteil begrenzten Umfang geben.
Denn: wer angeboren hoch empfindlich reagiert, dem ist das alles immer und in jeder Kombination der Zubereitung zu bitter. Der ist durch Sozialisierung nicht dazu zu bringen, Rosenkohl etc. zu mögen.
Das schon fast Witzige dabei ist: Wer auf einen bestimmten Bitterstoff so extrem empfindlich reagiert, muss nicht auf alle so reagieren. Auf einen anderen reagiert er möglicherweise viel weniger empfindlich. Damit wird es dann sehr kompliziert in der Bewertung, denn einer kann die eine bittere Speise mögen und die andere nicht. (reifer Camembert vs. Rosenkohl: läuft nicht immer kongruent).
In der Threadfrage ist es jetzt noch komplizierter, weil das Hautempfinden beim Darüberstreichen von Wind, Wasser, bei Berührung von Sand und Gras etc. sehr stark angeboren schwanken kann. Das ist ein zunächst rein nervliches Empfinden und damit liegen wir alle nicht nur verschieden, sondern weit verschieden auseinander. Damit haben wir eine sehr starke angeborene Komponente.
Der nächste Punkt ist die Frage, wie weit welche Botenstoffe aufgrund des Empfindens der Haut gebildet werden. Auch das ist wiederum angeboren sehr verschieden. Ist das nun beides stark ausgeprägt, also ein stark positives Hautempfinden verbunden mit der Ausschüttung von Botenstoffen, die im Gehirn die Emotionen "Wohlgefühl" und "Belohnung" auslösen, dann ist der Drang danach, das zu wiederholen groß - also klar angeboren! Bei anderen ist der Drang danach kleiner.
Dagegen steht durch Erziehung und sozialer Prägung ein bestimmtes Bewusstsein im Kopf, nämlich das Gefühl, etwas sei in Ordnung oder nicht in Ordnung, und natürlich nicht nur "schwarz/weiß", sondern in allen dazwischen liegenden Grautönen. Der Grad der Sozialen Prägung (enthält Erziehung und Umfeldeinfluss!) in eine Bezug auf das Kopf-Empfinden, ob Nacktsein OK ist und dazu die eigene Fähigkeit, gelernte Tabus zu überwinden, starre Erziehungsgrundsätze in Frage zu stellen etc. sind die Effekte, die dem oben genannten Gefühl entgegenstehen - oft eben auch im Konflikt (und bei letztgenannter Fähigkeit Tabus etc. zu überwinden ist auch schon wieder eine starke angeborene Komponente dabei!)
Jetzt mal ganz einfach schematisch, wie man es zweidimensional darstellen könnte:
- Hat nun einer das o.g. angeborene Gefühl des Wohlbefindens stark ausgeprägt und liegt in der sozialen Prägung so, dass er wenig oder nichts dabei negativ empfindet, dann versteht der das ganze Problem nicht, das andere damit haben.
- Der nächste hat nun auch das o.g. angeborene Gefühl des Wohlbefindens stark ausgeprägt und liegt in der sozialen Prägung am anderen Ende, dann hat er große Probleme mit FKK zu beginnen, wird es aber nach dem ersten Versuch, soweit es das Umfeld zulässt, weitermachen, vorausgesetzt er schafft es auch gelernte/geprägte Tabus dauerhaft zu überwinden.
- Nehmen wir dann einen, bei dem das o.g. angeborene Gefühl des Wohlbefindens sehr gering ausgeprägt ist, aber in der sozialen Prägung so liegt, dass er wenig bis keine Probleme mit Nacktsein empfindet, dann kann er zum Gelegenheits-FKKler werden, also mitmachen, wenn es andere machen, aber von sich aus nicht den Drang verspüren, unbedingt immer wieder die Gelegenheiten zu suchen. Das sind diejenigen, die Nacktbaden am Strand (auch gemischtem Strand) voll tolerieren und dennoch kein großes Interesse daran äußern, FKK-Urlaub zu machen oder unbedingt den FKK-See aufzusuchen, wenn ein anderer näher liegt.
- Dann die vierte Kombination der Extremwerte: einer bei dem das o.g. angeborene Gefühl des Wohlbefindens sehr gering ausgeprägt ist und dann noch die soziale Prägung so ist, dass für ihn Nacktsein ein ziemliches Tabu ist, dann wird der nicht nur kein FKK machen wollen, sondern auch kein Verständnis dafür haben, dass es andere tun. Er bleibt nämlich bei seiner Einstellung, öffentliches Nacktsein sei unmöglich, weil in ihm selbst kein Empfinden existiert, das dem entgegenstehen würde. Daher gibt es keinen Ansatzpunkt für ihn, das Empfinden der anderen zu verstehen. Deshalb ändert er auch nicht seine Negativ-Einstellung dazu.
Jetzt stellt euch vor, beide Skalen, die hier zusammentreffen, der angeborene Faktor von + bis - und der sozialisierte Faktor von + bis -, bestehen in allen Zwischen-Ausprägungen (wie ich oben meinte: alle dazwischen liegenden Grau-Töne). Damit wird es kompliziert und keiner ist mit dem anderen zu vergleichen.
Nicht erwähnt habe ich hier das "Gemütlichkeits-Gefühl" das sich bei manchen einstellt, wenn sie weiche, warme Freizeitkleidung tragen. Das kann bei dem einen nicht so groß sein wie das Verlangen nach dem Gefühl beim Nacktsein. Beim anderen, dessen Gefühl durch die o.g. Botenstoffe nicht so ausgeprägt ist, wird dieses "Gemütlichkeits-Gefühl" stärker sein und die ziehen sich eben zu Hause nur bei warmem Sommerwetter aus, während sie sich sonst gemütlich warm gekleidet deutlich wohler fühlen.
Das ist ein weiterer Faktor, der in verschiedenster Ausprägung dazu kommt. Damit haben wir Multi-Faktorielle Auslöser, die zu den so vielen verschiedenen individuellen Ergebnisse führen.
Und dazu kommt dann noch für bestimmt nicht wenige das Problem: Es gibt Menschen, die von Natur aus einen großen Drang zur Nacktheit empfinden, weil der angeborene Faktor auf der einen extrem-Seite liegt, die aber nie im Leben die Chance haben, das auszuleben. Innere Bedürfnisse, die nicht ausgelebt werden können, führen zwangsweise zu Störungen. Was das alles sein kann und ob die Entgleisungen bei manchen Priestern auch Störungen sind, die durch nicht ausgelebte innere starke Bedürfnisse entstehen, sollten dann eher die Psychologen beantworten.