So ist das. Schon in den ersten Semestern der Theologie wird gelehrt, dass man das meiste von dem, was in der Bibel steht, vergessen sollte, weil das Menschenwerk sei. Und dass Jesus keinen neuen Glauben kreieren wollte, sondern nur den jüdischen reformieren.Shiva205 hat geschrieben:Der "Glaube" kirchlicher Würdenträger ist im Allgemeinen nicht der, den sie ihrem Volk predigen.
Aber diese Dinge interessieren in diesem Thread weniger, sondern der konkrete Umgang der Priester mit ihren Schutzbefohlenen, sprich den gläubigen Menschen, egal ob innerhalb oder außerhalb der kirchlichen Organisationen. Das Problem der katholischen Priester ist es, dass sie mit dem Empfang des Ornats ihre Sexualität nicht abgeben, sondern sie nur noch heimlich ausleben können.
Als ich mich näher mit der Kirchengeschichte beschäftigte, kamen mir auch zahlreiche Berichte von Skelettfunden Neugeborener in Gärten von Klöstern, die aufgegeben worden sind, um Neubauten Platz zu machen. Ich hielt diese Berichte oft für übertrieben, aber jetzt sehe ich, dass in dieser Kirche seit tausend Jahren immer das gleiche geschah und immer noch geschieht, nur werden Kinder heute von Nonnen nicht mehr geboren, sondern abgetrieben. Natürlich auf Geheiß von Oberin, der Ordensfrauen zu absoluten Gehorsam verpflichtet sind.
Mit anderen Worten: Was es für einfache Gläubige gilt, gilt nicht für diejenigen, die diesen Glauben predigen. Sie wähnen sich außerhalb der Gesetze und sie sind es vielfach auch, dank der historischen Gesetzgebung und der Verträge, die der Kirche Privilegien zusichern, die sonst niemand im Staat besitzt.
Erst jetzt, als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, bewegt sich die Kirche. Es bleibt abzuwarten, ob es den vielen Worten auch Taten folgen werden, oder ob es den konservativen Kräften innerhalb der Kirche, die es zahlreich vor allem außerhalb Europas gibt, gelingt, das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen, sobald sich die derzeitige Aufregung etwas legt. Man darf nicht vergessen, Europa hat eine freie Presse und ist größtenteils säkularisiert, d.h. die Menschen rennen hierzulande nicht mehr in die Kirche wie die sprichwörtlichen dummen Schafe, nur weil der Hirte sie ruft und/oder mit Manna lockt.
Das ganze Gerede über die unreife Sexualität und Ähnlichem kann man sich schenken, denn das spielt keine Rolle, wenn es das Machtgefälle zwischen Täter und Opfer nicht gibt. Es ist ein Fakt, dass ein potentieller Täter ohne die Macht, einen sexuellen Übergriff auch real durchzuführen, sein Ansinnen vergessen kann. Das Machtgefälle kann physischer oder psychischer Natur sein oder es gibt ein Abhängigkeitsverhältnis oder …Eule hat geschrieben:Dein erster Satz ist so zutreffend wie auch unzutreffend. Es kommt hier wesentlich darauf an, wieweit beim Täter das eigene Schamempfinden verdrängt wurde. Ich bin nicht sehr glücklich über die Verbindung des sexuellen Übergriffs mit dem Machtmissbrauch. Nach meiner Erfahrung mit den entsprechenden Tätern spielt vor dem Machtmissbrauch wesentlich eine Störung oder Minderentwicklung der eigenen Sexualität eine Rolle.Aria hat geschrieben:Ich glaube nicht, dass sich die Kinderschänder schämen für ihr Tun, und wenn doch, sind diese in der Minderheit. Gerade die sexuellen Übergriffe – egal gegen wen – haben vor allem etwas mit der Macht bzw. dem Machtgefälle zwischen Täter und Opfer zu tun.
Ich sehe es gerade umgekehrt: Ein potentieller Täter kann sich aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur sein ganzes Leben wünschen, Sex mit jemand zu haben, aber wenn sich die Gelegenheit nicht ergibt oder er die gewünschte Situation aufgrund seiner Machtlosigkeit nicht herbeiführen kann, wird daraus nichts. Die Machtfrage ist also entscheidend.Eule hat geschrieben:Ich halte also die Machtfrage aus der Sicht der Täter nicht für das primäre Problem, sondern für ein sekundäres.
Es ist ein religiöses Problem, weil diese Kirche den sexuellen Missbrauch aufgrund des Zölibats geradezu heraufbeschwört und gleichzeitig wegen ihren Anspruchs, die moralische Instanz auf Erden zu sein, gezwungen ist, alles zu unternehmen, dass sexuelle Übertretungen ihres Personals nicht bekannt werden. Das gilt natürlich auch für diktatorisch regierten Staaten, die sich einbilden, perfekt zu sein: Auch da darf kein Schatten auf die Diktatoren bzw. auf ihre Ideologie fallen, also wird alles vertuscht oder für nicht existent erklärt, indem man Kriminalstatistiken fälscht. Die Parallelen zur katholischen Kirche sind frappierend.Eule hat geschrieben:Das Problem an sich ist auch kein religiöses Problem, auch wenn dieses jetzt gerade und Gott-sei-Dank in der kath. Kirche hochkocht.Aria hat geschrieben:Bevor hier jemand wieder eine Gegenrede oder Relativierung startet – mit oder ohne Hinweis auf meine antireligiöse Einstellung, die oft nur dazu dient, meinen Argumenten die Wucht zu nehmen –, sollte sich die 43 Minuten Zeit für das genannte Gespräch nehmen. Denn das, was Doris Wagner passierte, ist kein Einzelfall – es scheint geradezu die Regel zu sein.
Es beschreibt nur das Ausmaß des Fehlverhaltens von Funktionsträgern? Willst du damit wieder die alte Leier von Einzeltätern zum Besten geben? Nein, diese Dinge sind systemimmanent. Sie sind systemimmanent, weil Priester Respektpersonen sind bzw. als solche gesehen werden. Seit tausend Jahren geht das schon so, und solange diese Kirche noch Macht hatte, alles unter den Teppich zu kehren, solange haben Menschen weggesehen oder wurden mundtot gemacht, indem man sie zu Lügnern erklärte, was ganz einfach ging: Wem glaubte man mehr - einem Kind oder einem Priester?Eule hat geschrieben:Nun, ich könnte hier noch viel schärfere und schlimmere Aussagen anfügen. Aber es beschreibt nur das Ausmaß des Fehlverhaltens von Funktionsträgern innerhalb der kath. Kirche.Aria hat geschrieben:Das illustriert folgende, im Buch beschriebene Szene sehr gut: Als Doris Wagner sich an ihre Oberin wandte, schien diese nicht überrascht, sagte nur, ja, die [Priester] brauchen das [gemeint ist: Sex]. Die Schuld für das, was passierte, wurde natürlich der jungen Nonne gegeben [sie hätte dem Priester schöne Augen gemacht], und eine der ersten Fragen der Oberin war: Habt ihr wenigstens verhütet?
Du meinst die katholischen Laien sollen Druck ausüben? Dass ich nicht lache: Laien sind zahnlos, was sie sagen wird zwar gehört, aber anschließend gleich zu den Akten gelegt. Nein, das Ganze kam erst ins Rollen, seitdem sich Staatsanwaltschaften dafür interessieren, was in den Einrichtungen der katholischen Kirche vor sich geht. Und zwar weniger bei uns, weil das unselige Konkordat dies schwieriger macht, sondern in anderen Ländern, wo die Justiz nicht so zimperlich ist wie bei uns.Eule hat geschrieben:Da hilft kein Druck von außen. Der Druck muss von der kath. Basis aus gehen und sachlich in aller Schärfe und Härte geführt werden.
Mir erschließt sich nicht, warum man das alles nicht in der Öffentlichkeit austragen soll, schließlich sind wir alle vor dem Gesetz gleich.Eule hat geschrieben:ja, so war es in der Vergangenheit und dieses soll zukünftig so nicht mehr möglich sein. Darum geht auch dieser von mir beschriebene Kampf innerhalb der kath. Kirche, der natürlich nicht grundsätzlich in der Öffentlichkeit ausgetragen werden kann, wenn man sein Ziel erreichen will.Aria hat geschrieben:Es herrsche in Klostergemeinschaften große Angst vor Schwangerschaften, und wenn es doch passiert, wird in kircheneigenen Kliniken abgetrieben, ob die betroffenen Nonnen dies wollen oder nicht: Das Ansehen der katholischen Kirche hat immer Vorrang.
Ich würde sagen: Das Thema des Threads ist ausdiskutiert. Und zwar mit dem Ergebnis, dass wir alle bei unseren anfänglichen Standpunkten geblieben sind.Eule hat geschrieben:Aber wir sollten uns jetzt wieder dem Thema dieses Threads stellen, der lautet: Die Unterscheidung zwischen Nacktheit und Sexualität.
Theoretisch könnten Nacktheit und Sexualität nichts Gemeinsames haben, aber praktisch habe sie es doch. Und dieses Doch gilt weltweit im überwältigenden Maße, aber eine sehr kleine Minderheit glaubt trotzdem, sie würde mit beharrlicher Aufklärung das ändern. Dass gerade das seit 100 Jahren versucht und praktisch nichts erreicht wurde – sogar die einstigen Errungenschaften der FKK-Bewegung geraten immer mehr unter Druck – schreckt jemand wie Eule nicht. Er sitzt da in seinem Elfenbeinturm und sinniert weiter, wie man den Leuten beibringen könnte, ihre Nacktheit und die ihres Nachbars zu akzeptieren, ohne rot zu werden.
Das Problem dabei ist, dass die Leute schon jetzt wissen, dass die Nacktheit ganz natürlich ist und sie sich ihrer nicht zu schämen brauchen. Aber das hindert sie nicht daran zu sagen, nackt herumzulaufen gehöre sich nicht. Weil sie das als Kind von ihren Eltern so gelernt haben. Und die von ihren Eltern, usw.
Und selbst diejenigen, die von ihren Eltern gesagt bekamen, der Nacktheit brauche man sich nicht zu schämen, gehen vielfach nicht mal mehr zum FKK-Baden. Angeblich weil da Fotografen lauern und sie dann ihre Bilder womöglich im Internet wiederfinden würden, was ihnen peinlich wäre. Was die Frage aufwirft, ob sie sich trotz allem ihrer Nacktheit schämen. Wenn ja, dann meinen auch sie, nackt herumlaufen gehöre sich nicht. Nur im abgegrenzten Gebieten und unter Gleichgesinnten, da schämt man sich nicht.
Mit anderen Worten: Wir sind immer noch da, wo wir schon vor 100 Jahren waren.