Au wei, da habe ich doch das Wort "zitieren"falsch genutzt, statt "auf das Buch verwiesen" zu schreiben, und das veranlasst Zett zu einem ganzen Absatz der Polemik zu diesem Fehler. Danach schreibt er:
Zett hat geschrieben:Und zweitens dürfte es selbst bei einer Verschiebung um drei oder auch um zehn Jahre zu keiner anderen Aussage kommen, da es bei den meisten Krankheiten keinen auf Impfwirkung schließbaren Knick in der Verlaufskurve gibt.
Das ist bei dieser Kurve, die in dem Buch von G. Buchwald abgebildet ist durchaus so, da diese Kurve völlig ungeeignet ist, über die Impfung etwas auszusagen. Zu dem Thema liegt mir eine fast 300 Seiten lange Ausarbeitung aus der Charité vor, die belegt, dass diese Kurven der Todesfälle nur bei den wenigen hoch-letalen Infektionen (z. B. Pocken, Tetanus) für eine solche Aussage geeignet sind. Dazu aber weiter unten nach meinem "Beispiel für ungeeignete Beweisführung".
Ich muss hier sogar noch auf einen zweiten Fehler in meinem Text vom 19.04. hinweisen: da hatte ich vom Masern-Verlauf in Großbritannien gesprochen. Das muss sich aber nur um eine bestimmte Region in Großbritannien gehandelt haben. Den Text habe ich leider nicht mehr und genau weiß ich deshalb nicht die Region. Jedenfalls habe ich jetzt die Untersuchungen zu den Verläufen der Masern in England und Wales wiedergefunden, und da war der Impfbeginn von Ort zu Ort über eine größere Anzahl von Jahren unterschiedlich, so dass allein aus diesem Grund eine Aussage über den Einfluss auf den Verlauf in ganz England oder ganz Wales völlig unmöglich ist. Aber, wie gesagt, diese Kurven der Todesfälle sind ohnehin keine geeigneten Daten, eine Aussage abzuleiten (Zahlen der Infektionshäufigkeit gab es nirgendwo landesweit in dieser Zeit, sondern nur sehr lokal begrenzt).
Erst noch zu einem anderen Thema:
Seelöwe hat geschrieben:Lasst uns bitte bei den Fakten bleiben. Und da sind alle empfohlenen Impfungen wirksam. Wer was anderes behauptet, lügt und betrügt.
Da müssen wir etwas differenzieren: Es gibt die Einen, die Daten fälschen, um ihren unhaltbaren Behauptungen mehr Gewicht zu verleihen und es gibt die Anderen, die nicht den Einblick in die wissenschaftlichen Hintergründe haben und diesen Fälschern blind vertrauen. Zu letzteren zählen auch manche Leute mit medizinischer Ausbildung, ja, sogar Ärzte. Die meisten von denen haben aber auch keine Erfahrung in wissenschaftlicher Arbeit und erkennen nicht so leicht, welche Ableitungen von Aussagen aus bestimmten Datenpools für eine Beweisführung völlig ungeeignet sind. Mit solchen Leuten (auch Ärzten) habe ich auch einige Diskussionen geführt und das läuft natürlich auf einer ganz anderen intellektuellen Ebene, als hier mit unserem allerletzten Ende des Alphabets.
Gefälscht war von A. Wakefield (USA) der angebliche Zusammenhang mit Autismus. Die Studie wurde inzwischen zurückgezogen und dennoch glauben nach einer Umfrage in den USA noch 20% der Erwachsenen an die Gefahr dieser Nebenwirkung. Gefälscht war eine ganze Menge in dem Buch von G. Buchwald, und darüber gibt es genügende von Stellungnahmen. Ob es nun eine Rolle spielt, dass er 1976 als den Beginn einer verstärkten Durchimpfung gegen Masern bezeichnet und 1973 nur als Beginn der Verfügbarkeit der Impfung (was beides nicht stimmt), ist eigentlich egal. Schlimmer sind seine frei erfundenen Zahlen zu Tetanus-Erkrankungshäufigkeiten bei Geimpften und Ungeimpften und ähnlich zu einigen anderen Krankheiten.
Völlig haltlos sind im Internet die (u.a. von Zett wiedernolten) Aussagen des Bestehens einer "Impflobby", die damit großes Geld verdienen will. Tatsache ist, dass die Pharmaindustrie an den Krankheiten ca. zehn mal mehr Geld verdient, als an den Impfstoffen. Bei den Ärzten ist der Faktor des Verdienstes an den Krankheiten gegenüber der geringfügigen Honorierung für eine Impfung noch viel höher.
Ebenso unsinnig sind die Aussagen, die STIKO (ständige Impfkommission) sei von den Pharmavertretern beeinflusst. Die Satzung der STIKO kann man im Internet auf der Homepage des RKI herunterladen und sehen, welch strenge interne Vorschriften sie sich erlassen haben. Es gibt kaum eine unabhängigere Kommission in Deutschland, als diese, und zwar sowohl unabhängig von der Politik (Gesundheitsministerium etc., das natürlich Kosten fürdie Krankenkassen niedrig halten will), als auch völlig unabhängig von der Industrie. Soweit sie Studien der Industrie verwenden, prüfen sie die Methoden und statistischen Ableitungen sehr genau auf wissenschaftliche Korrektheit.
Und völlig aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, es gäbe keinen Nachweis für die Wirksamkeit. Tatsache ist, dass die STIKO keine Impfung empfiehlt, für die es nicht ganz klare Nachweise für die Wirksamkeit gibt.
Es gibt also eine Menge an Falschaussagen, aber es gibt eine große Zahl von Menschen, denen man keinen Vorwurf machen kann, dass sie die Fehler nicht erkennen können und denen glauben schenken. Da wird eine derart massive Propaganda gemacht, dass viele dazu verführt werden, den Impfbefürwortern nicht mehr zu vertrauen und tatsächlich zu glauben, da würden mafiöse Strukturen dahinter stecken, um Impfstoffe zu vermarkten. Die Argumentationsketten sind tatsächlich für Menschen ohne wissenschaftlichen Background sehr verführerisch.
Doch jetzt mal ein Beispiel für ungeeignete Beweisführung:
Stellt Euch vor, man zeichnet eine Kurve der durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit der Bürger ab ca. 1850 bis heute auf. Dann zeichnet man Punkte ein, wie Erfindung des ersten Autos und ab den 1960er Jahren die massive Zunahme des PKW-Individualverkehrs. Es wird in der Kurve der Zunahme der durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit keinen Knick geben ab den 1960er Jahren, da der Einfluss der zunehmenden Bahngeschwindigkeit und der zunehmenden Flugreisen das überlagert! Wollte man daraus nun schließen, dass die enorm hohe Zunahme an privaten PKW ab Mitte der 1960er Jahre keinerlei Einfluss auf unsere Mobilität hätte, dann wäre das eine gleichartig abgeleitete Schlussfolgerung wie die, anhand der Todesfälle einer Krankheit ab Anfang des letzten Jahrhunderts nach all den Einflüssen wie saubere Trinkwasserversorgung, hygienische Abwasserentsorgung, bessere Hygiene in der Lebensmittelversorgung und bessere Wohnbedingungen in dieser Multikomponenten-Wirkung die darin für einige Infektionen nicht differenzierbare Einzelwirkung der Impfung für die Aussage der Unwirksamkeit zu nutzen. Diese Ableitung ist unsinnig. Zur multikausalen Erklärung des Rückgangs der Infektionskrankheiten (die o.g. Faktoren vorrangig und zusätzlich zur Wirkung der Impfungen) s.: Leven, K., 1997. Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Landsberg/Lech: Ecomed. (S. 86)
Niemand bestreitet, dass die anderen genannten Effekte, besonders das saubere Trinkwasser einen (statistisch zahlenmäßig) höheren Effekt auf unsere Gesundheit hatten, als die Impfungen. Nachdem die Kurven aber recht weit unten waren, kamen die Impfungen dazu. Dann zu behaupten, der weitere Verlauf der Kurven ist genau eine Fortsetzung des vorherigen Verlaufs, also von Impfungen nicht beeinflusst (so in den Seiten der Impfgegner) impliziert die Behauptung, die Krankheitsraten wären ohne Impfungen genau so niedrig, wie sie jetzt sind. Dass dies falsch ist, zeigten schon die eindeutigen Statistiken der erheblichen Zunahme der Krankheitsfälle seit Verringerung der Impfquote.
Außerdem war die Wirkung dieser anderen Effekte in ganz Mitteleuropa bereits Anfang der 1970er Jahre voll wirksam. Die Senkung der Masern-Todesfälle von weit über 100 auf rund 40 p.a. (Deutschland) war eine gewaltige Leistung ohne Impfung. Danach gab es keine weiteren Verbesserungen mehr, und das weitere Absenken auf zeitweise unter 5 p.a bis zu den 1990ger Jahren war ein eindeutiger Erfolg der Impfungen. Ohne diese wäre die Zahl bei 40 geblieben. Das kann man aus der Kurve natürlich nicht ableiten, sondern indirekt aus den anderen Beobachtungen mit eindeutigen Beweisen der Wirkung schließen.
Da einerseits die Todesfälle bei Masern und einigen anderen Krankheiten für die Statistik ungeeignet sind, weil die bessere Behandlung und die besseren Lebensbedingungen die Mortalität dieser Krankheiten drastisch gesenkt haben, was bedeutet, dass die Kurve der Infektionszahlen einen deutlich anderen Verlauf genommen hat, als die Zahl der Todesfälle, und weil andererseits zu wenig großräumiges Zahlenmaterial vor 2001 vorliegt (wie Infektionszahlen für ganz Deutschland oder andere Länder) muss man die Daten aus viel kleineren räumlichen Bereichen vornehmen wie Statistiken bestimmter Kliniken oder von Ärzten, die längere Aufzeichnungen vorgenommen haben. Daraus ergeben sich eine Vielzahl von Einzelnachweisen, die den Aussagen des RKI und Anderer zugrunde liegen.
Für diejenigen, die zu Masern noch Links haben wollen:
https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/ ... t-den.htmlhttps://www.aerzteblatt.de/nachrichten/ ... -in-Europahttps://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Ep ... cationFilehttps://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Ep ... asern.htmlhttps://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2 ... ung-risikohttp://www.euro.who.int/de/media-centre ... ean-regionUnd sogar Wikipedia liefert hier einige Informationen:
https://de.wikipedia.org/wiki/MasernEin Beispiel für Nachweise in lokal begrenztem Raum für die Wirkung einer Impfung war der statistische Nachweis, dass in der Pockenepidemie im Krieg 1870/71 deutsche geimpfte Soldaten von der Epidemie verschont blieben, während sie aber von den französischen Kriegsgefangenen dann auf die Zivilbevölkerung übergegriffen hat.
S. oben zitierte Arbeit von: Leven, K., 1997, auf Seite 90,
oder auch: Militär-Medizinal-Abtheilung des Königlich Preussischen Kriegsministeriums unter Mitwirkung der Militär-Medizinal-Abtheilung des Königlich Bayerischen Kriegsministeriums, der Königlich Sächsischen Sanitäts-Direktion und der Militär-Medizinal-Abtheilung des Königlich Württembergischen Kriegsministeriums hrsg., 1886. Sanitäts-Bericht über die deutschen Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/71. In Die Seuchen bei den Deutschen Heeren im Kriege gegen Frankreich 1870/71. Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn.
Und wem das noch nicht reicht, hier noch einige Zitate zu verschiedenen Infektionskrankheiten (diese wird man aber teilweise nicht im Internet finden, also ist dann ein Gang zu einer wissenschaftlichen Bibliothek angesagt):
Binkin, N., Salmaso, S., Tozzi, AE., Scuderi, G., Greco, D., 1992. Epidemiology of pertussis in a developed
country with low vaccination coverage: the Italian experience. The Pediatric Infectious Disease
Journal, 11(8), S. 653–661.
McKeown, T., 1982. Die Bedeutung der Medizin. Traum, Trugbild oder Nemesis?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp
Verlag KG.
Van Ramshorst, J. und Ehrengut, W., 1965. Die Diphtherieschutzimpfung. In Herrlich, A., hrsg. Handbuch
der Schutzimpfungen. Berlin: Springer, S. 394–425.
Ehrengut, W., 1964. Impffibel, Stuttgart: Schattauer. (Eine weitere desselben Autors gibt es von 1966)
Landesgesundheitsamt Niedersachsen, 2013. Historie der Poliomyelitis in Deutschland.
http://www.nlga.niedersachsen.de/infekt ... 19302.htmlHeininger, U., 2004. Risiken von Infektionskrankheiten und der Nutzen von Impfungen. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 47(12), S. 1129–1135.