Aria hat geschrieben:Puistola hat geschrieben:Der Richter ist an den Gesetzestext gebunden.
Interpretation nein, Auslegung nach juristischen Regeln Ja.
Interpretation ist nur ein anderes Wort für Auslegung – und umgekehrt.
Und dass Gesetze – auch das Grundgesetz! – je nach Zeitgeist
interpretiert wurden ....
Nun, liebe Aria, meine Wortwahl war wirklich dumm.
Statt 'interpretieren' hätte ich vielleicht 'hineininterpretieren' schreiben sollen.
So steht dem Richter, egal, wie weit 'oben' in der Hierarchie, nicht zu, einen
Tatbestand in einen Artikel hineinzulesen, der dort vom Gesetzgeber nicht
aufgeführt worden ist (Bestimmtheitsgebot).
Auch darf er nicht sagen, dass, wenn ein ähnlicher Tatbestand strafbar oder
zu ahnden ist, wohl auch der vorliegende zu ahnden wäre, obwohl dieser
im Gesetz 'vergessen' worden sei (Analogieverbot)
Das war anders in den späten dreissigern und frühen Vierzigern, als
das, was im 'Sinne' (nicht wortlaut!) des Gesetzes strafbar sei und dem
gesunden Volksempfinden entspreche, dem Richter anheim gestellt wurde,
mit Ziel und Wirkung der Aushebelung der Grundrechte.
Der 'Zeitgeist' bei der Festlegung von nicht im Gesetz bestimmten Tatbeständen
ist ganz einfach der Grad der Distanz zwischen dem jeweiligen Richter und
jener Zerstörung des Rechts als zuverlässige Quelle.
Besondes 'zeitgeistig' verhielt sich das BVergG, als es 1957. aus den im GG
verankerten 'Sittengesetz' unter Hinweis auf die Haltung der 'grossen
Konfessionen' die Strafbarkeit der Homosexualität als verfassungsgemäss
erklärte:
BVerfGE 6, 389 hat geschrieben:Die §§ 175 f. StGB verstoßen auch nicht gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, daß jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.
Kurz: 'Zeitgeist' als Rechtsquelle ist pure Willkür.Anders verhält es sich mit dem 'Zeitgeist' im Gesetz (soweit innerhalb der Grundrechte).
Es ist aber nicht die Aufgabe der Richter, da korrigierend einzugreifen, sondern
jene des Gesetzgebers, der dies jeweils nach einem Wechsel der Mehrheiten
auch genüsslich tut
)
Puistola