von BOeinNackter » So 20. Mär 2022, 20:36
@eule
Du führst da einige Punkte an, die durchaus in der Zeit nach dem Krieg in der ganzen Lebensreform, der Kunst, den Gymnastik- und Tanzschulen, der Naturheilkunde, der Siedlungsbewegung, des Reformschulwesens und der Wandervogelbünde vorkamen.
Bei der Vielzahl der unterschiedlichen Gruppen kann man kaum etwas finden, was für alle Gruppen gemeinsam galt.
Besonders nach dem schrecklichen und verlorenen Krieg war die Tendenz verbreitet, das deutsche Volk wieder aufzurichten.
Es passte gut zur suche nach dem besseren Kontat zur Natur, dass sich das Bild der naturnahen Germanen und besonders der Urrasse, den Ariern, auch in diesen Kreisen verbreitete. So hatten viele der Protagonisten schon früh auf die Nationalsozialisten gehofft.
In allen genannten Gruppen spielte Nacktheit, in unterschiedlicher Weise mit zahlreichen Begründungen, eine Rolle. Wesentlich war sicher die Naturnähe. Tatsächlich gab es noch viele mehr. Wer zur Freikörperkultur gerechnet werden könnte, ist schwer zu ermitteln. In der Geschichtsschreibung der FKK wurde von verschiedenen Autoren unterschiedlich begründete Auswahlen getroffen. Dabei werden einige Personen alls Protagonisten gesehen.
So war der, in Geschichten der FKK, viel erwähnte Fidus Illustrator zahlreicher Bücher, war bekannt geworden durch eine Werbepostkarte für das Treffen der freideutschen Jugend auf dem Hohen Meissner, 1913, auf der sein Lichtgebet zu sehen war, hatte Kontakt zu Naturheileinrichtungen, Licht-Luft-Bädern, zu Reformsiedlungen, Gymnastikschulen, war Anhänger der Theosophie und auch Mazdaznan, verehrte und verdammte Rudolf Steiner. Er warb lange erfolglos für seine Idee eines esotherischen Tempels, war Juror bei Muskelwettbewerben, versuchte sich mit Bildern von Hitler und anderen Nazis den neuen Machthabern erfolglos anzudienen. Nackt war er wohl nur selten.
Adolf Koch war Sozialdemokrat, Mitglied in einem Verband für Reformpädagogik, Schüler der Gymnastiklehrerin, Anna Müller-Hermann und darüber in Kontakt mit einem großen Kreis der Gymnastik- und Tanzschulen, Freund des Sexualforschers, Magnus Hirschfeld und ebenfalls sexualreformerisch engagierter Ärzte, verbandsmäßig verbunden mit den SPD-nahen Arbeitersportvereinen, Initiator zahlrecher Adolf-Koch-Institute und Gruppen, die sich "Freie Mesnchen" nannten. Er gab Zeitschriften heraus und schrieb Bücher. Frauen, die offenbar wichtige Rollen in seiner Arbeit hatten, sind kaum bekannt.
Interessant finde ich, dass er nach dem "Nackttanzskandal", in dem es darum ging, dass er mit nackten Kindern Gymnastik geübt hatte, rehabilitiert wurde, während ich noch kürzlich aus naturistischem Munde hörte, dass das ja eine sehr grenzwertige Aktion gewesen sei.
Adolf Koch gehörte wohl nicht zu einem FKK-Verein. Seine Institutionen und Gruppen standen nicht nur für FKK. Das alles wurde sehr schnell, 1933 zerstört und verboten, wahrscheinlich nicht wegen der Nacktheit sondern wegen den sozialistischen und sexualreformerischen Bestrebungen. Das war ganz anders als bei allen anderen Verbänden. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er Mitglied im DFK und wurde 1964 wieder ausgeschlossen.
Ich finde, an dieser kurzen Darstellung zu diesen Personen bekommt man einen Einblick in die Kompliziertheit, zu klären, wo die Geschichte der FKK anfängt oder aufhört.
Die beiden zählen zu den Vielschreibern in der Szene. Schon ihre Geschichte ist kaum in engen Grenzen beschreibbar. Über die Vielen, von denen man kaum Zeugnisse hat, kann man nur einiges vermuten, nichts mit Bestimmtheit behaupten. Aus manchen lebensnahen Berichten müsste man erst die bekannten Lehr- und Glaubenssätze herausfiltern, um den realen Verhältnissen nahe zu kommen. Dass viele Frauen sich auf berühmte Männer beriefen und selbst kaum etwas schrieben, auch wenn sie, zum Beispiel als Leibpädagogin, vieles taten, kann man auch als ein interessantes Faktum der Geschichte sehen. Das ist nur ein Beispiel für eine Geschichtsschreibung aus Ungeschriebenem.